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The Spooky Jakob Lena Knebl Show
Die erste Museumsausstellung der österreichischen Künstlerin im Wiener Mumok
Der alles beherrschende Relativismus in der Kunst [1] verleitet dazu, das Wort „Kunstschatz“ neu zu untersuchen, um seinen Geschmack und seine Bedeutungen für die Gegenwart zu testen. Dabei zeigt sich, dass der Begriff zumindest drei Aromen enthält. Erstens die schwere und nachhaltige Würze des kulturellen Dokuments, dessen Lektüre die in sich dicht verwobene Dynamik der ästhetischen und aisthetischen Kommunikation freisetzt. Zweitens das scharfe künstliche Aroma des Marktwerts von künstlerisch hergestellten und in einen Markt eingespeisten Objekten – mit Gollum-Effekt auf geldwertanfällige Charaktere. [2] Und drittens den voluminösen Geschmack eines ironisch geflüsterten Koseworts, das unausgesprochen durch die Ausstellung „Oh...“ der Künstlerin Jakob Lena Knebl im Wiener Mumok leitet. [3]
Dieses Museum für Moderne Kunst enthält in seinem schönen, anthrazitfarbenen Hochbunker im Wiener Museumsquartier eine Sammlung an Schätzen von unschätzbarem Wert. Knebl hat auf eine ausreichende Anzahl dieser Objekte zugegriffen und deren Aura ausgetauscht. Mittels rekontextualisierender Interventionen (rück)verwandelt sie etliche Fetische des spekulativen Kapitals in solche des kommunikativen Experiments und gibt damit dem Kunstspeicher Museum einiges an Würde [sic!] als Diskursort wieder. Eine Giacometti-Skulptur mit rotem Kleid auf einem sich drehenden Spiegelpodest? – Oh. Ein Werk von Henry Moore in einem blassen, ausgepolsterten Trikot, auf dem steht: „up, centre, down, left, right“? – Oh, ... Und Oskar Schlemmers Abstrakte Figur von 1921: umarmt, umhaart, umstofft und rekontextualisiert. Oho, ...!
Gerade in den Schichtungen des Kontexts und deren Verwerfungen liegt der Hund begraben, den Knebl hier exhumiert, als wäre sie von einem bockigen Luzifer in die Kunstkirche gelockt worden, um etwas Licht in deren Hauptschiff zu leiten. Damit unterstützt sie eine paradigmatische Tendenz der Gegenwart, denn die Museen sind ja schon auf der Suche nach Wegen, historische Kunstwerke aus ihrer allzu selbstreferentiellen Isolation zu befreien und gleichzeitig Gegenwartskunst historisch zu kontextualisieren. Das ist nur zum Teil auf die ökonomisch auf- und zugleich kulturell abwertenden Dynamiken der aktuellen neoliberalen Reorganisiation von westlichen Demokratien zurückzuführen. Wesentlich stärker wirken die Turbulenzen der relativistischen Verunsicherung, die aus einer partiellen Abspaltung der Kunst von der Gesellschaftskultur dieser Demokratien resultiert.
Deren vernachlässigte und zugleich überforderte Bevölkerungen haben bekanntlich bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aufgehört, die in ihrer Mitte entstehende, jeweils zeitgenössische Kunst tatsächlich zu „verstehen“ und als Teil ihrer eigenen Kulturalität zu erfahren. Und jene, die für die Kommunikation dieser Kunst verantwortlich waren, hat es wohl allzulange gereizt, sich als Teil eines exklusiven Klubs der Diskursivierung von Kunst zu fühlen. [4]
Das hatte Folgen: einmal in der Kontraktion des Ästhetischen durch faschistische Ideologien, die heute von neonationalen Kulturströmungen wiederbelebt werden, und zum anderen in einer spektakelhaften, globalisierten und großteils von neoliberalen Übergriffen vereinnahmten, relativistischen Popkultur.
Ausgerechnet deren Spiele plündert Jakob Lena Knebl, um mit ihrer Beute die sakrale Aura einiger Reliquien der liberal bürgerlichen Kunstgeschichte zu infizieren. Solche Reliquien werden bei Oh, … wie in einer Registratur an die Wände gedrängt (vgl. unten: Unschärferelation #9). So erinnern sie an die Massierung von Gerahmtem in Ausstellungen der vormodernen Salonmalerei und auch an Entwürfe für die Große Galerie des Louvre von Hubert Robert vom Ende des 18. Jahrhunderts. Oder sie finden sich als Dekorstücke in Displays und Installationen aus Einrichtungsgegenständen wieder, oder sie irrlichtern, teils dem direkten Blick entzogen, in spiegelkabinetthaften Seitenschiffen eines großen Ausstellungsraums.
Knebl mischt die alten Fetische mit neuen und selbst geschaffenen, verbindet sie in relationaler Logik – dem Gegenteil von relativistischer Spekulation [5] – mit Mode, Spiegeln und Möbeln oder Gegenwartskunst, etwa einer Plattenladen-Installation von BRUCE!, oder Plamen Dejanovs und Swetlana Hegers Business Class-Arrangement, oder Verena Denglers Paravent für den Fantastischen Sozialismus mit dem klassischen Muster des populären Gmundner Porzellans.
An der Wand des Eingangs zur Ausstellung steht „Oh, ... / Jakob Lena Knebl / und die / Mumok / Sammlung!“ und darunter, kleiner, „Double Feature Regular“ zu lesen, alles in triefenden Silberbuchstaben, die an die Titelschrift für die Rocky Horror Picture Show erinnern. Das Design der für den Film- und Ausstellungstitel verwendeten Buchstaben heißt tatsächlich „Double Feature Regular“ – und dies ist bereits die Einführung in Knebls tiefsitzenden Witz, bei dem das Bezeichnete und das Bezeichnende gut und gerne miteinander identisch sein können. Das Double Feature zwischen Museum, vertreten durch die Kuratorinnen Barbara Rüdiger und Susanne Neuburger, und Kunst, vertreten durch Jakob Lena Knebl, zeigt einen Tanz der Referenzen, Zusammenhänge, Bedeutungen, Asymmetrien, Übersetzungen und Wertungen, wie er gerade signifikant für das Signifikat Kunst ist.
Dieser Tanz bewirkt einen Dimensionssprung von der „Kunst“ als auratische Fetischreligion zur Kunst als kulturerzeugende Diskursmaterie. Dabei fehlen dieser Schau weder Anspielungen auf noch das Ausspielen von Fetischismen. Weil es in der hyperkapitalistischen Gegenwart aber so gut wie überall um Produktion und Inszenierungen von Fetischen geht – konkret unter anderen von solchen der Aufmerksamkeit, Ethik, Waren und Emotionen –, riechen die Räume von „Oh, ...“ nach Dokumentation. Von diesem Geruch wird der Blick zusätzlich gereizt und gefordert.
Beim Durchstreifen der Ausstellung kann das Aufreizende das Herausfordernde auch durchaus verschleiern, etwa wenn der Blick vom sensationellen Fummel, den „inside jokes“ (Kunstdiskursspäßen) und eingebauten Rätseln Tränen zu lachen beginnt. Das bereits bei der Entscheidung der Fall, Stephen Prinas „ent-setzlich“ pinke Installation As He Remembered It, Living Room Category in einen kleineren Raum zu stellen, der gewissermaßen das Foyer von „Oh, ...“ darstellt. Hier können die Betrachterınnen ihren Blick aufheitern oder um(er)ziehen, bevor es für sie weiter in die beiden Haupträume im zweiten und dritten Tiefgeschoß des Mumok geht.
Schon in diesem Foyer versteckt sich Knebl, die virtuelle Performerin, selbst. Bei Prina zum Beispiel in Gestalt von Sitzmöbelkissen, oder gleich in der Nähe davon auf einem Foto von Gregor Zivic in einer geposterten Zapfsäule Ohne Titel. Ähnlich indirekt steht die Künsterin auch hinter drei Schwarzweißfotos On the Subject of Voyeurism von Todd Watts und auf ein dokumentarisches Lichtbild des im Vorjahr verstorbenen Reiner Ruthenbeck, das an eine Aktion im Düsseldorfer Möbelhaus Berges im Jahr 1963 erinnert: Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus.
Viele für Knebls Werk konstitutive Bauteile sind da zu erkennen, mit eingeschlossen Miriam Schapiros Pink Light Fan (der Witz liegt in der Doppelbedeutung von „Fan“) und John Baldessaris Six Colorful Inside Jobs (hier sicherlich auch als „Six Colorful Inside Jokes“ zu verstehen), während Julian Göthes raumsimulatives Wand-Seilstück Ohne Titel eine Erweiterung des kneblschen Foyers anzudeuten scheint.
Ein Äquivalent zu Göthes Arbeit lässt sich dann tatsächlich finden: im ersten der beiden großen von Knebl bespielten Räume als dessen virtuelle – und manipulierte – Spiegelung und somit Erweiterung in Form einer Virtual-Reality-Projektion, die sich jeweils zur vollen Stunde aktiviert. Mit einem Smartphone (dem ultimativen Fetischobjekt des Neoliberalismus) kann man darin navigieren und dadurch das Gespenstische von VR auf die Ausstellung selbst spiegeln.
Durch diese digitale Linse gesehen, wird „Oh, ...“ zur Simulation einer theaterhaften „Spooky Horror Picture Show“, die den analogen Ausstellungsraum noch einmal neu lesen lässt. Über die Idee dafür mokiert sich Knebl bereits nahe des Entrée desselben. Neben Fernando Boteros großformatiges Gemälde Casa de Raquel Vega hängt ihr Fernando, eine fotografische Reproduktion des Casa-Bildes, in die sie ihre eigene Gestalt einmontiert hat.
In diesem Witz mit Boteros Leidenschaft für voluminöse, aus dem Ideal des modernen Körperdesigns tretende Leiber eröffnet die Künstlerin einen rasanten Diskurs, den sie durch etliche Schichten repräsentativer und performativer Kultivierungen des Körpers durch die bildende Kunst der vergangenen achtzig Jahre bohrt. Da ist einmal mehr und anders zu sehen, welche Vielfalt, welches Risiko, wieviele Fragen nach der Abbildbarkeit des Menschen sich bis heute angehäuft haben. Aber auch, welche Amputationen und Aufblähungen künstlerische Testverfahren zur Er- und Durchleuchtung der sozialen Körperlichkeit erfahren haben und wie unabschließbar dieses Projekt ist.
Jakob Lena Knebl (re)formuliert den Körper als politischen und sexuellen Begehrensraum, als Kampfstätte kultureller Ideologisierung, als Medium von Disziplinierung und Befreiung, und das alles – die grenzmarkierende VR-Projektion bestätigt die Regel – aus vordigitaler Perspektive. Damit schiebt sie den „Leib“ an jener Schwelle seiner Selbstanalyse ins „analoge“ Licht, die heute überschritten wird, weil die digitale Technologie begonnen hat, ihm buchstäblich das Fleisch von den Knochen zu ziehen. Ein Enlightenment also, in dem die Künstlerin durch eine schillernde Reflexion führt, die das abgezogene Fleisch bereits retrospektiv durch viele Materien wandern lässt und in der Bilder sowie Bilder von Bildern immer neue Versuche der Entführung des Körpers durch Regimes seiner Verwaltung konterkarieren.
In dieser Ausstellung wird auf didaktische Logik verzichtet, und Knebl behauptet sich nicht als ureigene Welt. Gerade im Gegenteil – sie zieht die fette Welt vor den Türen des Museums hinein in ihre „Capsule Collection“, die so tut, als wäre sie ein Modelabel. Dabei ist sie augenscheinlich mehr als Stofffassade und Signalsystem, denn ihre Urheberin nutzt sie dafür, die Museumsräume mit einigen Spuren jener Experimente kultureller Kommunikation auszukleiden, die zum Ziel hatten und haben, den zur „Human Resource“ degradierten Körper der Gedankenkontrolle seiner Verwaltungen zu entziehen. Ohne Witz wäre das nur schwer durchzuführen, aber „Oh, ...“, hier ist es geglückt, und das macht diese Ausstellung zu einem Kunstschatz.
Fußnoten:
- ^ Dieser Relativismus – als „unverbundenes Nebeneinander der Kunstwerke“ – war bereits für Adorno ein großes Thema. Vgl. Adorno, Theodor: Ästhetische Theorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1970.
- ^ „‘Precious, precious, precious!’ Gollum cried. ‘My Precious! O my Precious!’“ Tolkien, J.R.R.: The Lord of the Rings [Part 3, The Return of the King]. Glasgow: Omnia Books 1995, S. 925.
- ^ Unschärferelation: Die repräsentativen Eigenschaften der folgenden Bilder im Text verhalten sich komplementär zu den performativen Eigenschaften der Ausstellung.
- ^ Nicht ohne Grund gilt „Kunstgeschichte“ bis heute als rückschauorientiertes Upper-Class-Studium.
- ^ Hier: Relationalismus als erkenntnistheoretische Annahme, das die Beziehungen der Dinge zueinander, nicht aber diese selbst erkennbar sind, Relativismus dagegen als Nivellierung von Dingen und deren Beziehungen zueinander sowie zu ihren Kontexten.
7. 4. 2017