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Getanzte Satire

KÜNSTLERISCHE AUSEINANDERSETZUNGEN MIT VALESKA GERT BEI IMPULSTANZ 2018

Von Lina Paulitsch

Es hallt ein wenig im weiß getünchten Ausstellungsraum des Wiener Museums Moderner Kunst. Zwei Frauen treten ein, summen und zischen. Mit aufgemalten, tiefschwarzen Augenbrauen und rotem, verwischtem Lippenstift schlängeln sich Eszter Salamon und Boglárka Börcsök durch die Menschenmenge, zwingen zum Platzmachen, taxieren einzelne Zuschauerınnen. Und das umherstehende Publikum macht bereitwillig Platz, bildet eine kreisrunde Leerstelle als Performanceraum. Ein Ausstellungszirkus entsteht, clownesk und verführerisch zugleich. Als Zitat erscheint: Valeska Gert. Die visionäre, zutiefst exzentrische Tänzerin der 1920er-Jahre war als Referenzkünstlerin beim diesjährigen Impulstanz-Festival gleich zweimal zu sehen.

 

Salamon und Börcsök brachten mit Monument 0.3: The Valeska Gert Museum eine performative Ausstellung ins Mumok. Die aus Ungarn stammende, in Berlin arbeitende Choreografin Eszter Salamon bezog sich auf mehrere von Gerts Tanznummern, die assoziativ weitergeführt wurden. Ebenfalls im Mumok, ein paar Tage später, griff die Berlinerin Jule Flierl mit ihrem Solo Störlaut die stimmlichen Einlagen der Avantgardistin auf.

 

Karikiertes Ballet in Orange

 

Valeska Gert performativ zu würdigen, liegt nahe – sie gilt als wegbereitende Figur der Performancekunst. Schon Kurt Tucholsky nannte sie „eine dolle Nummer, eine hervorragende Tänzerin, eine außerordentliche Frau“. 1981 verfasste Anne Teresa De Keersmaeker – damals noch Studentin in New York – einen Artikel für The Drama Review, in dem sie Valeska Gerts Lebensweg nachzeichnet. An der Freien Universität in Berlin wurde 2006 eine Valeska-Gert-Professur gegründet, und im vergangenen Jahr widmete ihr das Filmarchiv Austria eine eigene Retrospektive.

 

Gerts Strahlkraft ist tief mit den historischen Wirren des 20. Jahrhunderts, mit den sich politisierenden Künsten und mit ihrer jüdischen Herkunft verbunden. Als Modejournalistin, Schauspielerin, Tänzerin und Barbetreiberin war sie Universalkünstlerin, nicht zuzuordnen und transdisziplinär. Ihr selbst so betitelter „Grotesktanz“ war weder Ballett noch Schauspiel und involvierte den ganzen Körper, mit Gesten, Grimassen, Grinsen und Geschrei.

 

Verbindendes Glied ihrer verschiedenen Arbeiten und Lebensstationen war die Satire, ein ironischer Zugang zum Leben, den manche schelmisch, andere dämonisch nannten. Nach ihrem Schulabbruch verfasste sie zunächst spitzzüngige Bekleidungstipps für die Modezeitschrift Elegante Welt, etwa eine gewollt dysfunktionale Anleitung zum Krawattenbinden. Es folgte Schauspielunterricht bei Maria Moissi, deren Ehemann Alexander Moissi gemeinsam mit Max Reinhardt die Salzburger Festspiele begründet hatte. Das Paar attestierte ihr nicht nur Schauspieltalent, sondern empfahl sie auch an Rita Sacchetto, um Tanzunterricht zu nehmen.

 

Anita Berber war lieblich

 

Bei einer öffentlichen Tanzaufführung im Jahr 1916 langweilte Valeska Gert die Konventionalität der restlichen Studentinnen: Anita Berber, ein später skandalträchtiger Star, tanzte „Diana mit Pfeil“ und eine „Rose“. Lieblich sei es gewesen, klassisch, zaghaft und schön – das fadisierte sie. Ohne zu wissen, was sie tue, habe sie die erste Tanzsatire geschaffen, denn sie „brannte vor Lust, in diese Süßigkeit hineinzuplatzen“, wie sie in einer Autobiografie schreibt. Ihr anschließender Tanz in Orange macht sie schlagartig berühmt. In einem knallorangenen Kostüm karikierte sie die Ballett-Szenerie der Schulaufführung, schritt schlenkernd über die Bühne, riss die Arme in die Luft, schnitt pantomimische Grimassen. Das Publikum jubelte.

 

„Ich bin total unintellektuell“, sagt Valeska Gert in einer Dokumentation, die Volker Schlöndorff in den 1970er-Jahren über sie drehte, und betont mit selbstbewusstem Pathos, Bildung habe sie nie interessiert. „Hemmungslos und frei“, das war Valeska, ein ständiger Skandal. Es dauerte nicht lange, bis ihre Avantgardekunst über die Grenzen Berlins hinaus bekannt wurde. Nach einem Engagement an den Münchner Kammerspielen unter Otto Falckenberg feierten ihre pantomimisch-tänzerischen Solonummern große Erfolge. In der Filmindustrie war sie wenig später in Filmen von G.W. Pabst zu sehen, etwa in Die freudlose Gasse (1925) oder Die Dreigroschenoper (1931).

 

Expressive Sachlichkeit

 

Grotesk, expressiv und 1920er Jahre – fälschlicherweise wurde sie oft als expressionistische Künstlerin kategorisiert. In hohem Alter darauf angesprochen, lachte sie laut auf: „Kitsch“ sei das expressionistische Kino gewesen. Und: Lächerlich, dass man Fritz Lang heute einen großen Filmemacher nenne. Müsste man sie überhaupt einer künstlerischen Strömung zuordnen, dann der Neuen Sachlichkeit, die als Gegenbewegung zur betonten Metaphorik des Expressionismus entstand. Für Filmemacher bedeutete das etwa eine Rückbesinnung auf sozialkritische Themen, in Werken über Arbeiter und Streiks.

 

Für eine derartige Zuordnung spricht die große Wertschätzung, die ihr von „sachlichen“ Künstlern entgegengebracht wurde. Allen voran ist da Bertolt Brecht zu nennen, der eine Parallele zwischen Gerts Tanz und dem Epischen Theater zog. Oder aber das große Interesse Sergei Eisensteins, der mit Panzerkreuzer Potemkin 1925 die politisch-aktivistischen respektive propagandistischen Möglichkeiten des Films begründet hatte. In einem Brief wollte Eisenstein sie als Agitprop-Künstlerin gewinnen – ihr revolutionärer Tanz sei wunderbar mit den Zielen der kommunistischen Revolution zu vereinen. Er brachte auch gleich seine zweite Absicht unter, eine romantische Liebeserklärung. Von „dem Russen“ habe sie sich ein geradliniges Schreiben erwartet – gekommen war aber „ein zarter, eleganter Rokokobrief“, wie sie später in einem Interview erzählte.

 

Pathetischer Protest

 

Worin bestand nun Gerts grotesk-kritischer Gestus, der bei ihren Zeitgenossen eine so große Bewunderung hervorrief?

Gleich einem trotzigen kleinen Kind, das Nein zu allem und jedem sagt – so versucht Anne Teresa de Keersmaeker Gerts „pathos of protest“ zu fassen. Sie hatte keinen konkreten politischen Impetus, sondern entlarvte gesellschaftliche Konventionen, indem sie schlicht in Generalopposition ging.

 

Ein klar ablesbares Motiv war ihre Kritik an der Bourgeoisie, mit deren starren Verhaltensregeln sie nichts anzufangen wusste. Getanzte Charakterstudien repräsentierten daher Figuren, die im bürgerlichen Theater nicht zu finden waren: Prostituierte, Zuhälterinnen, Obdachlose. Menschen, die vom „richtigen“ Weg abgekommen waren. So zum Beispiel in ihrer skandalösesten Solo-Performance Canaille, bei der das Groteske mit dem Sexuellen verschmilzt. Durch Körperzuckungen, krampfhafte Spannungen und Entspannungen bringt sie erstmals den weiblichen Orgasmus auf die Bühne. In der Rolle einer Prostituierten ein doppelter Skandal: Lust und Begierde sind ambivalent, die orgasmische Trance mündet in der Schlusspose in Einsamkeit, im Gefühl missbraucht worden zu sein. Als „Freier“ fungiert letztlich das Publikum, die bourgeoise Gesellschaft: Der weibliche Körper wird voyeuristisch ausgebeutet, gleichzeitig spricht man ihm sein Lustempfinden ab.

 

Es waren keineswegs bloß sexuelle Normen, die auf der Bühne durchbrochen werden konnten. Mit der Ausdruckstanzbewegung etablierte sich der Tanz in der Weimarer Republik als offene und progressive Kunstform, der Körper wurde als Ausdrucksmittel aufgewertet. Im Tanz war es möglich, gesellschaftliche Umbrüche wie die Hektik, Schnelligkeit und Instabilität der Modernisierung zu reflektieren. Siegfried Kracauer beschreibt in seiner kritischen Analyse der Tiller-Girls die damalige Maschinisierung des Körpers: Die in Amerika erfolgreiche Tanztruppe würde ihre „Girls“ jeglicher Individualität berauben, einzelne Körperteile in einer einheitlichen Masse unkenntlich machen. Für Kracauer ist der synchrone, repetitive Tanz der Tiller-Girls letztlich ein Produkt der kapitalistischen Produktionsweise.
 
Das „Sachliche“ und Revolutionäre an Gerts Kunst war also die pointierte Reflexion des Zeitgeists und des Alltagslebens. Ob schreiende Babies, Flugmaschinen, fremde Kulturen, Sport, Motorengeräusche oder Ehestreits – vermeintlich banale Sorgen und Gefühle waren ebenso Teil ihrer Kunst wie Urbanität und Technologie.

 

Salamon und Flierl: die Leerstelle füllen

 

Die große Zäsur des künstlerischen Reichtums in Deutschland, das Jahr 1933, erfasste auch Valeska Gert. Sie war im doppelten Sinne Feindbild der Nazis – als Jüdin galt ihre provokative Kunst als „undeutsch“ und „entartet“. Nach ihrer Vertreibung und Emigration in die USA pflegte sie als Besitzerin der New Yorker Beggar Bar den Kontakt zur amerikanischen Künstlerszene, in Hollywood fand sie jedoch keinen Anschluss. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie schon bald nach Deutschland zurück, eröffnete auch hier Kabaretts und spielte später in einzelnen Filmen, unter anderem von Federico Fellini (Giulietta degli spiriti, 1965), sowie in einer TV-Folge von Rainer Werner Fassbinder (Acht Stunden sind kein Tag, 1973). Ihre große Zeit aber war vorbei. Bei einem Fernsehauftritt in den 1970ern erahnen einige Zuschauer noch die einstige Wucht der Grotesken, der Rest erstaunt.

 

The Valeska Gert Museum von Eszter Salamon soll im Jahr 2018 gerade diesem unwissenden Erstaunen Rechnung tragen. Und sich der Frage widmen: Bedeutet zu erinnern nicht eher imaginieren? Salamons und Börcsöks Kurzperformances lehnen sich zwar an Gerts Tanznummern an, funktionieren jedoch ganz eigenständig. Als performatives Museum wird eine Sammlung gezeigt, die den autobiographischen Pathos (Gert hat vier Bücher über ihr Leben geschrieben) und die 20er-Jahre-Nostalgie ironisiert. Im geschützten Ausstellungskontext ist das Anrüchige, das Groteske der damaligen Zeit kaum spürbar. Eher schon lässt sich die Performance als Satire der Satire lesen: als verzerrtes, imaginatives Bild der Vergangenheit.

 

Jule Flierls Störlaut ist laut – so viel legt schon der Stücktitel nahe.  Die „Vokalakrobatin“ referiert etwas überschwänglich auf ihr historisches Vorbild, dessen Stimmperformances damals das Wirrwarr des urbanen Lebens wiedergeben sollten. Wenn Flierl Popsongs summt, sollte das vielleicht als Referenz zur Kritik der (post-)modernen Massenkultur verstanden werden. Das läge dann aber so nahe, dass man es fast wieder poppig nennen möchte.

 

Sich der Person Valeska Gert zu widmen, das ist allerdings nicht als bloße Nostalgie abzutun. Es formuliert sich darin auch die Kritik am kollektiven Bewusstsein, vor allem an den Auslassungen in Bezug auf weibliche Kunstschaffende. Frauen, die ganze Kunstströmungen prägten und erfolgreiche Künstlerinnen ihrer Zeit waren, werden sehr oft nicht als Teil des jeweiligen Kanons begriffen – das gilt auch heute noch. Dazu schreibt Eszter Salamon: „In 1920, in her work Pause, Valeska Gert invented immobility almost 30 years before John Cage invented silence. Not referencing works and influences by women artists and not making their artistic importance visible are not habits confined to the past.“ Insofern waren die beiden Performances bei Impulstanz 2018 weniger als Reenactments denn als feministische Bewusstmachung zu begreifen: Das Publikum zu zwingen, Platz in seiner Mitte zu machen, eine Bühne freizugeben.


 

Literatur:

Kolb, Alexandra (2007): „‘There was never anythin’ like this!!!’ Valeska Gert's Performances in the Context of Weimar Culture“. In: The European Legacy, 12:3. S. 293-309.
Kotowski, Elke-Vera (2012): Valeska Gert. Ein Leben in Tanz, Film und Kabarett. Berlin: Hentrich & Hentrich.
Hughes, Erika (2009): „Art and illegality on the Weimar stage The dances of Celly de Rheydt, Anita Berber and Valeska Gert“. In: Journal of European Studies, September 2009, Vol.39(3). S. 320-335.
De Keersmaeker, Anne Teresa (1981): „Valeska Gert“. In: The Drama Review, Vol 25, No.3. S. 55-66.


Film

Schlöndorff, Volker (1977): Nur zum Spaß, nur zum Spiel – Kaleidoskop Valeska Gert.

 

 

(20.10.2018)