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Postcontemporary: Das Post ist da
Versuche zur Zeitgenossenschaft #5
Ich fühle mich wenig geeignet, über geistige und philosophische Konzepte zu sprechen, wenn ich auch mein Interesse an Systemen und deren Subversion nicht leugne. Andererseits spiele ich gerne mit Begriffen, entlocke ihnen weniger wahrscheinliche Bedeutungen, stülpe sie aus ihrem sprachlichen Zusammenhang, wozu mir ja dankenswerter Weise das System der Sprache die Mittel bereit hält; und deshalb bleibe ich – der Gefahr zum Trotz, das Thema gleich im Ansatz zu verfehlen – bereits am ersten Teil der Wortschöpfung post-contemporary hängen, während am Rand meines Blickfeldes noch die von Wikipedia bereitgestellte Kurzform „PoCo“ vorbeizieht, die aus dem Spanischen zu übersetzen ich mir nicht verkneifen mag.
In einem Kriminalroman, den ich kürzlich las, wird die Hässlichkeit einer Person als Ausdruck ihres Wesens beschrieben. Äußerlichkeiten werden benützt, um Rückschlüsse auf das Innere zu ziehen, geistige Ab- und Ausgrenzung aus physischen Qualitäten extrahiert. Am deutlichsten findet sich diese Vorgehensweise immer noch in Fantasy und Science Fiction, wo „das Böse“ selten ohne einen Makel anzutreffen ist, der uns von außen zeigt, wie’s innen läuft.
Ein Orc, der nicht stinkt und schleimt, ist schwer vorzustellen, und die Hexe ohne Warze und Haare am Kinn verliert damit auch einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Selbst der schlanke, hochgewachsene Usurpator von gewinnendem Äußeren muss wenigstens einen kalten, stechenden Blick haben, um seiner Schlechtigkeit Gestalt zu geben. Unsere Orientierung wird dabei von der herrschenden Mode (Äußerlichkeiten zeigen sich ja auch in der Kleidung) und den gegenwärtigen Vorstellungen, wie ein Mensch auszusehen hat, beeinflusst – ein Mix aus Phrenologie und Lombroso, eingekocht über der kleinen Flamme des „gesunden“ Menschenverstandes, würzt unsere Bewertungssuppe. Ich will damit nicht sagen, dass wir immer falsch liegen, doch es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir aufgrund dieser Bewertungen Begegnungen vermeiden, die wir anstreben hätten sollen.
Was hat das mit dem Post zu tun?
Ich finde dieses Präfix, das nicht einmal auf eigenen Beinen stehen kann und sich dennoch immer häufiger vorstellt, eine ausgesprochen pikante Zutat für die Suppe. Es möchte nicht nur abgrenzen, sondern sich auch alle Optionen offen halten. Das, was vor mir war, ist hässlich, sagt das Post, ich scheide es aus, ich bin danach, als Fortschritt nicht aufzuhalten. Doch an der kurzen Leine, dem Bindestrich, der das Verworfene anfügt, treidelt das kleine Lasttier das ganze Cargo hinter sich her, von dem es sich losgesagt hat. Es erklärt sich aus dem, was vor ihm war, will aber kein Danach haben, weil es das ja selbst schon zu sein vermeint. Und das naturwissenschaftliche Bestreben, zu benennen und zu katalogisieren, einzuteilen und zu ordnen, führt zu immer kleineren Maßeinheiten, die wiederum eine wachsende Unschärfe bestätigen. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn wir bald von Pico- und Nanopost-Konzepten sprächen … Ich freue mich auf das Metapost und frage mich heute noch: Wussten die Präraffaeliten, was sie laut ihrer in die Zukunft gerichteten Abgrenzung waren?
(7.2.2017)