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Postcontemporary: Eine Kritik
Versuche zur Zeitgenossenschaft #2
In der europäischen Neuzeit kommt es wiederholt zu den so (oder anders) genannten „Querelles des Anciens et des Modernes“ in den Wissenschaften und Künsten, in denen sich Vertreter des Alten und des Neuen mit rhetorischen Waffen duellieren oder sich Körper performativ in den Kampf werfen. Im Unterschied zu epochalen Ordnungen, die meist retrospektiv etabliert werden, handelt es bei solchen „Querelles“ mehr um Momentaufnahmen, deren Nachhaltigkeit oder Resonanz noch nicht vorhersehbar ist. Sie basieren auf zwei Konstanten: 1. Inventarisierung des Bestehenden, 2. Programmatik der radikalen Erneuerung (oder noch bis ins 18. Jahrhundert die Verteidigung des Ancien).
Ob es sich jeweils tatsächlich um eine größere Revolution der Ordnung handelt oder um ein ein kleineres Beben, kann nicht mit Sicherheit gesagt, sondern lediglich prognostisch oder spekulativ verhandelt werden. Denn bekanntlich werden Revolutionen des Denkens und des Tuns zuweilen erst zeitversetzt „erkannt“: Wie Leo Tolstoi in Krieg und Frieden (1868/69) treffsicher formuliert, handelt es sich doch meist um eine „Geschichte der Ereignisse, nicht [um] eine Geschichte der schönen Gefühle und Aussprüche“. [1]
Die Rhetorik des Widerstreits manifestiert sich in verschiedenen Medien, hauptsächlich in den drei (einander meist bedingenden) Konfigurationen Text, Bild und Körper. Wenn also tatsächliche oder vermeintliche Paradigmenwechsel konstatiert werden, ruft man mit Vorliebe eine neue Zeit aus, eine Zeit, die anders ist strukturiert ist, anders in Erscheinung tritt als die vorhergehende.
Bevor zum Neuen im Sinne eines Postcontemporary (eben nicht) „fortgeschritten“ wird, möchte ich zumindest zwei Aspekte benennen, die das ihm unterliegende Konzept im Kontext der Querelles perspektivierbar machen: erstens die trennscharfe und tendenziell polemisch argumentierte Abgrenzung vom jüngst vorhergehenden und obsolet gewordenen Referenzmodell – hier von Zeitgenossenschaft/Contemporary – und zweitens die Behauptung einer (noch) unerhörten Erkenntnis.
Die definitorische Setzung des Postcontemporary in Der Zeitkomplex, verfasst von Armen Avanessian (im Folgenden: AA) und Suhail Malik (im Folgenden: SM), [2] zeugt erstens von einer Priorität der Zukunft im doppelten Sinn vor der Gegenwart; in diesem Sinne ist das Postcontemporary ein (post- oder past-contemporary) Zustand oder Zeitkomplex. (AA, 12) Programmatisch artikuliert: „Die Zukunft ereignet sich vor der Gegenwart, die Zeit kommt aus der Zukunft.“ (AA, 7)
(Teils) der Ontologie verpflichtet und die Metaphysik bejahend, wird hier gegen eine „Logik des Zeitgenössischen mit ihrer Fixierung auf die Gegenwart“ (AA, 12) und ihre „Prozeduren der Unterbrechung, der Subtraktion, der Verzögerung und der Nicht-Identität“ (SM, 30) polemisiert. Eine „Zukunftsgenossenschaft“ visionierend (AA, 24), sieht man die dringliche Aufgabe in der einer ontologischen Dekonstruktion der Kategorie der Präsenz (SM, 28) und sagt ihrer Fetischisierung den Kampf an (AA, 25). Bleiben wir noch kurz bei der Definition der zeitgenössischen Kunst: Dabei ist die zeitgenössische Kunst „sowohl Symptom als auch Surrogat dieser Zukunftslosigkeit“ (AA, 20). Wir befinden uns, so wird souverän festgestellt, noch in einer Zeit des neoliberalen Kapitalismus – oder schon des Finanzfeudalismus, darüber ist man sich uneinig –, in jedem Fall aber bereits „in einer Zukunft, die die Bedingungen und die Begrifflichkeiten der Vergangenheit überwunden hat.“ (SM, 11)
Aus diesem mit rhetorischen Mitteln geführten Kampf gegen die Zeit- und für die Zukunftsgenossenschaft leuchtet der Funke der Revolution. Sicher handelt es sich um eine perspektivisch verkürzte Darstellung der Denkfigur des Postcontemporary. Dennoch möchte ich behaupten, dass diese auf Grundlage von spezifischen Einschlüssen und Ausschlüssen profiliert wird. Die Einschlüsse, vor allem die Behauptung des „Neuen“ erinnert paradoxerweise in ihrer Orientierung am Absoluten an alte Querelles-Modelle, denn sie tut so, als hätte es je die eine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gegeben. Die Ausschlüsse scheinen bedrohlich(er) in diesem Szenario, dieser „Prä-Post-Formation“ (SM, 24): Es scheint, als gäbe es eine Leerstelle in der Reflexion. Wird die eigene Position (kanonisiertes und – radikal – erweitertes philosophisches Denken) bedacht, von der ausgehend man über Gesellschaft, Kultur, Kunst spricht, und wird die (vermutlich operationale) Stereotypisierung dieser Instanzen als solche problematisiert?
Fußnoten:
(7.2.2017)