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Tanz der fleischfressenden Bilder
“BODIES AND ACCIENTS” VON GEORG BLASCHKE UND JAN MACHACEK IM WIENER BRUT
Die Tänzerin tritt vor einen Standspiegel. Über ihre Arme hat sie grüne Handschuhe gezogen, die ihr bis zu den Achseln reichen. Der Spiegel ist eine Spezialanfertigung ohne Spiegelglas. Statt dessen steht im Holzrahmen eine Kamera, die das Gesicht der Tänzerin, Katharina Senk, körpergroß auf eine Wand überträgt. Senks Hände und Arme schieben sich ins Bild wie in eine Höhle.
Das Grün bewirkt einen Green-Screen-Effekt, die Handschuhe verschwinden bis auf ihre Konturen, und in die so frei werdende Fläche kann ein anderes Bild eingefügt werden. Mit verblüffender Wirkung. Während die Hände der Tänzerin beginnen, deren Miene zu verformen und dabei halb zu verdecken, verwandeln sie sich in eigenständige Bildträger. Damit erhält das Portrait zwei Ebenen: Die Basisaufnahme zeigt es in Echtzeit, und auf den Händen sind zugleich Teile des Gesichts aus einer früheren Aufnahme zu sehen. Das bewegte Bild wird dadurch nicht nur als solches verdoppelt, es enthält auch unterschiedliche Zeitebenen.
So beginnt eine Szene etwa in der Mitte der choreografischen Performance Bodies and Accidents des Choreografen Georg Blaschke und des Medienkünstlers Jan Machacek. Die Uraufführung des Stücks wurde zwischen dem 21. und 24. Februar 2019 vom Wiener Brut Theater im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste gezeigt. Mit einem Untertitel verweisen die beiden Künstler auf ihre primäre Referenz: „Eine künstlerische Reaktion auf das Werk Francis Bacons“. Das klingt etwas hölzern, liefert aber die nüchterne Qualität voraus, die das Stück an seinem schlichten Beginn bietet.
Denn eingangs turnt Katarina Senk nur auf einer zu einem Bogen umgeformten Ballettstange. Ganz allein ist sie dabei nicht. Als „Begleitung“ bewegt sich ihr Schatten auf der Wand. Ein simples Szenario, das jene große kulturelle Leitmetapher zitiert, die in Tanzstücken häufig auftaucht: der Körper und sein Schatten – Archetyp, C. G. Jung, der kollektive Schatten, der dunkle Doppelgänger, das Unbewußte, Je est un autre (Rimbaud, auch in Lacans Lesart: „Le je n’est pas le moi.“) oder der Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde von Robert Louis Stevenson.
Versuchsstation einer dunklen Imitation
Aber einfache Bilder sollten nicht unterschätzt werden. Blaschke und Machacek wollen ihr Publikum am Aufbau einer Komposition teilhaben lassen, die sich vom schattenhaften Doppelgänger bis hin zum komplexen Diskurs über das Verhältnis zwischen der digitalen Bildmaschine und dem lebendigen Körper in seiner Performance, in seinen Abbildern und deren Umdeutung sowie der Übersetzung des Analogen in die Geisterräume der technischen Projektion spannt.
Sobald neben dem Schatten der Tänzerin, den ein Strahler als Lichtquelle an die Wand wirft, eine technisch projizierte „imitatio obscura“ [1] dieses Schattens auftaucht, und diese Nachahmung eine Vervielfachung (Kollektivierung) und Beschleunigung (Akzeleration) erfährt, macht Bodies and Accidents die Bühne zu einer Versuchsstation. Eine zweite Projektionsfläche wird ins Spiel gebracht – ein bespannter Bildrahmen etwa im Maß von zwei mal vier Metern – ebenso ein zweiter Kamera-Standspiegel und eine zweite Figur in Gestalt des Tänzers Tomaž Simatović.
Nebensächlichkeiten als Desaster
Simatović führt die Anordnung des Kameraspiegels, des Portraits und des Green-Screen-Handschuhs ein. Und er macht das Hintergrundrauschen des künstlerischen Universums von Francis Bacon in diesem Stück spürbar – die Verzerrung von Gesicht und Leib durch ein analoges bildgebendes Verfahren, das zur Gänze aus jener unmittelbaren Aktivität des menschlichen Körpers besteht, die Tanz und Malerei zu unvermutet nahen Verwandten macht.
Blaschke und Machacek experimentieren nicht an der Darstellung dieser Verwandtschaft, sondern – wie bereits bei ihrer ersten Kooperation I don’t remember this body (2017) in der Wiener Galerie Jünger – an Möglichkeiten einer Auseinandersetzung mit den Zu- und Unfällen, (scheinbaren) Nebensächlichkeiten und (tatsächlichen) Desastern in den Transmissionen von analoger Performance des Körpers zu deren gleichzeitiger digitaler Verarbeitung.
Körper im Streß der Bilderinflation
Bereits der historische Diskurs um Fotografie und Film operiert anhand von unterschiedlichen Methoden der künstlerischen Untersuchung am Körper, die allesamt auf apparative Interpretationen von dessen äußerer Erscheinung angewiesen sind. Die „Ablichtung“ ist eine dokumentarische Stärke, aber trotz ihrer Bearbeitungsmöglichkeiten auch eine Restriktion der Darstellung. Denn der Pinsel dringt implizierend in die auf ihre Sujets gerichteten Wahrnehmungsprozesse vor. Die Kamera hingegen ermöglicht explizite Darstellungen der Medialisierung ihrer Sujets. Dieser fundamentale Unterschied spielt auch bei Bodies and Accidents eine entscheidende Rolle.
Im Stück werden – das ist das Baconsche „Hintergrundrauschen“ – imitationsbasierte Analogien der Sujets des irisch-britischen Malers als digitale Transformationen eingebracht. Und zwar weniger als Anspielung auf die technologischen Überschreibungen der „handschriftlichen“ Bildgebung im Zeitalter der inflationären Visualität, sondern als Allegorie auf die Verzerrungen, die der Körper durch diese Inflation erfährt. Sobald das private Fotoalbum seine Privaträume verlassen hat und in die Öffentlichkeit der „sozialen“ Medien geraten ist, werden die unbedarften „Sujets“ gezwungen, sich „aufzuführen“.
Darstellungszwang in soziophagen Medien
Im Sog dieses Zwangs zur Performance aktivieren sich narzißtische Neigungen. Die Sorge um die bestmögliche Selbstdarstellung deformiert den Toleranzspiegel außerhalb des diskret gewesenen Sozialraums der Privatsphäre. Das Ich isoliert sich im Bemühen um Optimierung, unter dessen Druck das Gemeinschaftliche platzt, womit sich das in Gesellschaft vereinsamende Subjekt bloß noch auf das stützen kann, was es als seine „Identität“ zu präsentieren imstande ist. Da sich die „sozialen“ Medien ökonomisch von dieser Zerstörung des Gemeinschaftlichen „ernähren“, müssen sie als soziophage, also gemeinschaftsfressende Medien verstanden werden.
Die verstümmelten Portraits und Körperverzerrungen in Francis Bacons Werk erscheinen bei Bodies and Accidents als Metaphern für diesen Prozeß der Umwandlung von „Nutzerınnen“ der soziophagen Medien in Narzißten. Die Logik dahinter hat der kanadische Kommunikationsphilosoph Marshall McLuhan bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert in seinem Buch Understanding Media verausschauend beschrieben. Der griechische Name Narkissos kommt von narkosis in der Bedeutung von Betäubung, erläutert McLuhan. Und weil der „Narzißmythos in keiner Weise [besagt], daß Narziß sich in irgend etwas, das er als sein Selbst betrachtete, verliebt hat“, liegt näher, daß der junge Mann, als er sein eigenes Spiegelbild im Wasser des Weihers zum umarmen suchte, dies in der Auffassung tat, es wäre eine andere Person.
Die Selbstamputation des Körpers
„Er war betäubt.“, schrieb McLuhan. „Er hatte sich der Ausweitung seiner selbst angepaßt und war zum geschlossenen System geworden.“ [2] Mit Bezug auf den Streßforscher Hans Selye und den Psychotherapeuten Adolphe Jonas führt er aus, daß jede Ausweitung der eigenen Person als „Selbstamputation“ zu verstehen sei, die ein Körper vornimmt, „wenn das Wahrnehmungsvermögen den Grund der Reizung [orig.: „irritation“] nicht genau feststellen oder sie umgehen kann“. [3]
Genau diese Reizung führen Georg Blaschke und Jan Machacek vor. In der Vervielfältigung des Schattens, im digital projizierten Spiegelbild und weiterführend in der Multiplikation von Ganzkörperspiegelungen in einem Bild, sodaß aus einer Gestalt eine Landschaft oder Skulptur aus mehreren „gefrorenen“ Leibern ein und derselben Figur entstehen kann. Bei Tomaž Simatović entsteht dabei der Eindruck, als würde sein „Spiegelschatten“ sich wiederholt häuten, als versuche der Körper seinen bildgewordenen, erstarrten, also betäubten Medienleibern, ihrer narkosis, zu entkommen, um weiterexistieren zu können.
Ein weiterer, ebenso genialer Moment gelingt in Bodies and Accidents, wenn Katharina Senk in der eingangs beschriebenen Szene ihren Kopf „umarmt“ – mit jenen Ganzarm-Handschuhen, wie sie von Tierärzten benutzt werden, um rektal oder vaginal tief in die Organe etwa von Rindern zu greifen, zu Zwecken der Untersuchung oder Geburtshilfe. So langt Senk in den Bildrahmen wie in das Medium des Fleisches, um sich als Erweiterung ihrer selbst im Weiher der Projektion zu umarmen.
Dabei ereignet sich der Unfall des Körpers als Folge einer Überforderung seiner Wahrnehmung: eine Amputation, hier im Sinn einer Baconschen Verstümmelung. Die unterschiedlichen Zeitebenen im Bild, die Akzeleration der Bewegungen, die demonstrative Transformation des Abbildes in eine Monstrosität – all dies weist auf die potentiell verzerrende Macht des soziophagen digitalen Mediums hin.
Kunst der kritischen Perspektivierung
Blaschkes Choreografie und Machaceks Medienkunst verbinden sich in dieser Arbeit möglicherweise zu einem größeren Diskursgebilde, als es die beiden Künstler ursprünglich zur Auseinandersetzung vorschlagen wollten. Damit haben sie allerdings erreicht zu zeigen, welche Bedeutung Kunst als Generator einer kritischen Perspektivierung des Gesellschaftlichen hat. Und das gerade rechtzeitig während unserer gegenwärtigen Phase der Überschreibung des Künsterischen durch eine den Neoliberalismus und dessen Medien affirmierende Pop-Kreativindustrie.
Fußnoten:
- ^ Gemeint ist hier, in Anspielung auf die Camera obscura, wörtlich eine dunkle Nachahmung.
- ^ Zit. nach McLuhan, Marshall (Ü.: Meinrad Amann): Die magischen Kanäle. Understanding Media. Düsseldorf; Wien: Econ Verlag 1970, S. 50. Vgl. McLuhan, Marshall: Understanding Media. The Extensions of Man. Corte Madera: Gingko Press 2003, S. 63.
- ^ Zit. nach McLuhan, Marshall (Ü.: Meinrad Amann): Ibid., S. 51.
(23.2.2019)