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Donnie Rotten, The Apprentice

Reality Performance: Die USA haben einen Boss, der zu ihrem System passt

Von Helmut Ploebst

Wer glaubt noch, dass die USA mit Donald Trump einen Präsidenten gewählt haben? Zwar steht dem Land nun eine Figur vor, die diesen Amtsträger nach den Regeln des gesetzlichen Prozedere darstellt. Wie sich aber herausstellt, werden die Vereinigten Staaten jetzt von einem „Boss“ und Oligarchen [1] regiert, noch dazu von einem der alten, brutalen Sorte. So lange Trump amtiert, sind die USA kein Staat mehr, sondern eine Firma.

 

Firmen sind nicht demokratisch. Mit der Inauguration am 20. Jänner 2017 haben die USA daher vorläufig – diskurspolitisch, wenn auch nicht formal – aufgehört, eine Demokratie zu sein. Anders als etwa der Republikaner Ronald Reagan, der zwar bis Mitte der 1960er Jahre Schauspieler war, ab 1966 aber reguläre politische Ämter ausübte, war Trump bisher nie Politiker. Wohl aber eine Showfigur, die jetzt als Mischung aus Wladimir Putin und Silvio Berlusconi, [2] Viktor Orbán und Kevin Spaceys bissigem Präsidenten Frank Underwood von House of Cards agiert.

 

Zum Pop-Trumpf wurde Trump nicht durch seinen wirtschaftlichen Erfolg, sondern durch seine exzessive Selbstvermarktung. Er hat seinen Namen konsequent als Marke für Macht und Reichtum eingesetzt, und er ist Fernsehprofi: Unter anderem trat der heute Siebzigjährige lange Zeit (2004-2015) bei NBC in der Hire-and-Fire-Reality-TV-Show „The Apprentice“ auf. Deren Trägerfirma heißt, wer hätte das gedacht, Trump Productions.

 

Hypochondrisches Imperium

 

Die gesamte Laufbahn dieses Bosses passt idealtypisch in jene „God’s own country“ beherrschende Gesellschaftsideologie, die zwielichtige Entrepreneure vergöttert, das Spektakel zum Fetisch erhebt und weltweit als über allen anderen Staaten stehende Supermacht protzt. Keiner ihrer katastrophalen Sündenfälle seit 1945 hat den USA nachhaltig geschadet. Nicht die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, nicht der Korea- noch der Vietnamkrieg, nicht die zahlreichen Einmischungen in die Angelegenheiten anderer Staaten und die Unterstützung faschistischer Regimes zur Zeit des Kalten Krieges. Erst 9/11, der verpatzte Irakkrieg und die Finanzkrise ab 2007/08 machten dieses Imperium, das einst durch sein Eingreifen gegen den Nationalsozialismus gleichsam sakrosankt geworden war, hypochondrisch.

 

Auf dieser Psychokrise beruht Donald Trumps Karriere aber nicht allein. Zwei andere Faktoren waren ebenso große Booster. Einerseits hat die brutale ökonomische Globalisierung auch in großen Teilen der US-Bevölkerung starke Verunsicherung ausgelöst. Und zum anderen verrührt die kapitalistische Popkultur das Performativ der heroischen Ich-AG – affirmativ wie opponierend – seit Jahrzehnten mit pathetischem Nationalismus. Konsequent also, dass Trump, der reale „Präsident“, charakterliche Ähnlichkeiten mit Lex Luthor, dem fiktiven US-Präsidenten bei Superman und Batman, aufweist.

 

Eine vor allem von Rechtextremen ins Feld geschickte Politik der Gefühle [3] wird durch das US-amerikanische Entertainmentsystem in ritueller Repetition wieder und wieder aufgewärmt. In zahllosen nationalistischen und populären Actionreißern wie Sharknado 3 (2015), Absolute Power (1997) oder First Family (1980) werden seit Jahrzehnten emotionsgesättigte Ansprachen von diversen Präsidentendarstellern geschwungen, Law-and-Order-Logiken aufgebuttert, wird mit America First-Schmiere an den Patriotismus der Zuschauerınnen appelliert. Damit wurde etwas in die Köpfe der Amerikaner gepflanzt, das jetzt einen dicken, zähnefletschenden Halloweenkürbis mit Frisur ausgebildet hat: Das Motiv des „Trumpkin“ galt noch im Vorjahr als guter Witz.

 

Ein Abbild der US-Kultur

 

Was für ein Irrtum. Trump ist nicht die Karikatur der US-amerikanischen Mainstreamkultur, sondern deren Abbild. Dies ist keine unglückliche Fügung. Es wurde konsequent gezüchtet. Auch von den Medien von coast to coast, auf deren Klaviatur der krawallige Kürbis – dessen Körpersprache in einem deutschen Nachrichtenkanal von einem „Experten“ als „testosterongeladen“ [4] bezeichnet wurde – so wirkungsvoll hämmern konnte, weil er Gelegenheit bekam, ganz viel darauf zu üben. Heute macht es Sinn, Trumps performative Aktivitäten bis zum 20. Jänner, 12.00 Uhr Lokalzeit, getrennt von seinen Auftritten als vereidigter Präsident zu betrachten. Bis zu dem genannten Zeitpunkt war, was immer er tat, twitterte oder sagte, „act speech“ (Posenrede). Seit seiner Vereidigung verfügt er über Befugnisse, die seine Äußerungen in „speech acts“ (Sprechhandlungen) in Form von Dekreten verwandeln: Muslime bleiben draußen, Mauer wird gebaut, Moratorium von Obamacare.

 

So lange er als Wahlkämpfer über die Medien herzog, galt dies seinem Ziel, Wählerınnenstimmen zu akquirieren. Wenn er aber als Präsident äußert, „I have a running war with the media“ (21. 1. 2017), ist das bereits die Ansage des legitimierten Staatsbosses. Er selbst vollzieht – anders als vielfach gehofft – die Trennung in ein Davor und ein Danach nicht, respektive auf eine andere Art als erwartet. Um den rechtsnationalen, letztlich unterlegenen österreichischen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (2016) zu zitieren: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“

Auf facebook, Twitter, Youtube und dergleichen erscheinen unzählige Äußerungen zu Trump sowie Abertausende Beiträge in den internationalen Medien. Das ist der Symbolik eines Ereignisses angemessen, das aus dem Herabsteigen eines Protzes vom Penthouse seines hermetischen schwarzgläsernen Wolkenkratzerschlosses ins einstöckige Weiße Haus bestand.

 

Als Beschallung der Verkündigungszeremonie seines Wahlsiegs am 9. November 2016 hatte er sich übrigens die Filmmusik von Air Force One (1997) ausgesucht, eines Hollywoodschinkens von Wolfgang Petersen, in dem Harrison Ford den US-Präsidenten spielte. [5] Am Ende ertönte You Can’t Always Get What You Want von den Rolling Stones. Mick Jaggers Protest gegen den Missbrauch des Songs kratzte den Boss nicht wirklich.

 

Mehr schon juckt ihn etwas anderes. Ein Grund für die Kratzbürstigkeit des Chefs gegenüber den Medien – gemeint sind hier die sogenannten „alten“: Zeitungen, Radio und TV-Stationen – war deren Feststellung, dass sich bei seiner Angelobung weitaus weniger Publikum vor dem Kapitol versammelt hatte als 2009 bei Barack Obamas entsprechendem Festakt. [6] Der neue Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, trug seine Version der Zuschauerzahl vor und drohte daraufhin, die Presse zur Verantwortung zu ziehen („hold accountable“), nachdem er behauptet hatte: „This was the largest audience to ever witness an inauguration. Period!“ [7] Und Trumps Beraterin Kellyanne Conway sagte auf NBC nach deutlichen Zweifeln ihres Interviewers an Spicers Aussagen, dieser habe einfach „alternative Fakten“ [8] angeboten.

 

Aufführung des „Authentischen“

 

Das entspricht dem beliebigen Umgang mit dem Faktischen, auf den Trump so gern wettet. Er ist also auf der einen Seite der Wirtschaftsmagnat, für den jede Äußerung vor allem manipulative PR ist, und auf der anderen Seite hatte ihn ein System der Massenmedien zum Oberkasperl erkoren, weil er die Quoten in ganz herrliche Höhen pumpte. Für beide Seiten zahlt sich’s prinzipiell und bis zu einer gewissen Grenze aus, erst einmal viel Aufruhr zu veranstalten – aber es könnte den Punkt geben, an dem es nicht mehr beim verbalen Schlagabtausch bleibt.

 

Die Performance, um die es hier geht, ist ein echter Kracher. Trump hat jetzt keine Wahl mehr, er muss sozusagen seinen Fuß auf dem Gas lassen, weil er sich auch zum Spieler des gnadenlosesten aller politischen Zeichensysteme gemacht hat: dem Spektakel, das gegenwärtig aus allen Röhren feuerwerkt und trotzdem noch Platz nach oben hat. Der Boss ist anders im Bild als alle bisherigen US-Präsidenten, näher, gröber und erratischer, gerade weil seine Performance so genüsslich wie gewinnbringend, aber trotzdem fälschlich als „authentisch“ angesehen wird. Dazu muss freilich angemerkt werden: Das Spektakel hat bisher in der Geschichte noch jeden Wurstel verwurstet, ganz gleich, was er angerichtet hat, denn es (re)produziert (sich) permanent von selbst und mit allen Mitteln.

 

Trump ist ein rechter Rotten. In ihm haben auch jene einmal einen richtigen Punk, auf die – so glauben sie es jedenfalls – alle gepfiffen haben zwischen Wall Street und Silicon Valley. Dieser Donald „Johnny“ Rotten lockt auch Popheldinnen wie Madonna und Scarlett Johansson auf die Straße, die leider von einem System groß gemacht wurden, das auch Donnie „on air“ und „on the road“ geschickt hat. Aber es ist nie zu spät und asymmetrisch, daher mag es wenigstens beglückend sein, wenn sich nun die amerikanische Linke endlich einmal vereinigt zeigt. Sogar der Unternehmer Trump hat sich schon verspekuliert, beispielsweise mit seinem Casino in Atlantic City. Und in den unberechenbaren Stromschnellen des Spektakels können, wie etwa Mussolini erfahren musste, Performative drastisch mutieren. Die Aufführung, die den Globus hier erwartet, wird auf jeden Fall bis auf Weiteres ein immersiver Reißer – als eine „Show Reality“, in der wir alle mitspielen. Das wird ein unendlicher Spaß.

Fußnoten:

  1. ^ Vgl. u.a. http://www.newyorker.com/news/news-desk/donald-trump-american-oligarch.
  2. ^ Österreicherınnen fühlen sich an gescheiterte Performer wie die Unternehmer Richard Lugner und Frank Stronach erinnert, die ebenfalls in die Politik wechseln wollten. Der aktuelle Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) war übrigens ebenfalls Vorstand zweier – allerdings staatlicher – Unternehmen: Verbund und Bundesbahnen.
  3. ^ Vgl. Josef Haslinger: Politik der Gefühle. Ein Essay über Österreich. Frankfurt/Main: Fischer 1987. Oder, aktuell: Heinz Bude: Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen. München: Hanser 2016.
  4. ^ N-TV am 3. 2. 2017 mittags.
  5. ^ Michael Haneke hat diesen Film 2006 übrigens so kommentiert: „Wenn ich mir zum Beispiel ‚Airforce One‘ anschaue, von Herrn Petersen, das ist ein übles Propaganda-Machwerk. Es ist aber so gut gemacht, dass die Zuschauer nicht einmal wissen, dass das ein politischer Film ist. Sondern die denken, das wäre ein super Action-Film, super spannend.“ Vgl. http://www.planet-interview.de/interviews/michael-haneke/34089/. Zuletzt eingesehen: 24. 01. 2017.
  6. ^ Quelle: ARD Tagesschau, 22. 1. 2017, 19 Uhr; Zitat aus einer Ansprache, die Trump bei seinem ersten Besuch der Geheimdienstzentrale CIA hielt, um dort zu versichern, er stehe „1000prozentig“ hinter dem Dienst. Vor seiner Inauguration hatte er die CIA heftig attackiert.
  7. ^ Quelle: CNN http://edition.cnn.com/videos/politics/2017/01/21/sean-spicer-entire-defends-inauguration-crowd-size-sot.cnn.
  8. ^ Quelle: ARD Tagesschau, 22. 1. 2017, 19 Uhr. Vgl. FN [5].

 

(7.2.2017)