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Mit Pogo und Verzweiflung

TANZ EINER PIONIERIN: DAPHNA HORENCZYKS PERFORMANCE “RAGE” IM WIENER WUK

Von Helmut Ploebst

Hoffnung enthält, als politisch konnotierter Begriff, ein tief konservatives, weil handlungsbezogen passives Konzept. Nicht ohne Grund etwa dienen die im Katholizismus populären Schlagwörter „Glaube, Liebe, Hoffnung“ der religiösen Propaganda. Die israelisch-österreichische Choreografin Daphna Horenczyk, geboren 1987 in Tel Aviv, gibt sich mit „hoffen und beten“ nicht zufrieden. Warum das so ist, legt sie eindrucksvoll mit ihrer Soloperformance Rage, die das Wiener WUK vom 13. bis zum 15. Februar 2025 als Uraufführung präsentiert hat, dar (eine Vorschau auf das Stück war als Studiopräsentation bereits am 24. September 2024 bei Im_Flieger in Wien zu sehen gewesen).

 

In Punkkluft, vor einer Projektionsleinwand und mit dem Rücken zum Publikum startet Horenczyk einen wilden Pogo als referentiell sublimierten Ausdruck einer ähnlichen Wut, wie sie in der Punkbewegung der 1970er und -80er Jahre kochte. Die anarchistische „No Future“-Haltung der Punks allerdings, in der sowohl die kapitalistische Bourgeoisie als auch das Latzhosen-Biedermeier der Neuen Linken abgelehnt wurden, schlägt bei Rage nur ansatzweise durch.

 

Die mehrfach prekäre Zukunft der jungen Generationen

 

Erst als sich die Tänzerin auf ihrem Bühnenpodest dem Publikum zuwendet, wird sichtbar, daß sie ihr Gesicht mit einer aufgeklebten großen Hakennase modifiziert hat, einem historischen Symbol für antisemitische Körperdarstellungen. An ihre fetzige Jacke hat sich Horenczyk eine gelbe Schleife geheftet, heute Ausdruck der Solidarität mit den ursprünglich rund 250 von der Hamas verschleppten, gefolterten und teils bereits getöteten israelischen Geiseln nach dem genozidären Überfall der palästinensischen Terror-Organisation am 7. Oktober 2023.

 

Auf dieser Jacke trägt sie auch – in Bauchhöhe – einen Davidstern, der allerdings neben einer Gummibrust plaziert ist, die aus einem Loch in der Jacke hervorschaut. Teil ihres Patchwork-Minirocks ist auch ein rotes Palästinensertuch. So skizziert Daphna Horenczyk im Kostüm ihre politische Haltung: Kritisch gegenüber der Regierung Netanjahu, mit dem Herzen bei den Geiseln und von Grund auf empathisch mit der palästinensischen Zivilbevölkerung. Die Tänzerin wendet sich jedoch dem Publikum vor Ort zu – überwiegend junge, linksliberale Leute, die sich heute in einer, was ihre Zukunft betrifft, multipel prekären Lage befinden.

 

Infantile Stimme einer „Cutie“-Figur

 

Dieses Publikum spricht Horenczyk nach der Ouvertüre mit der elektronisch manipulierten, kindlich verfremdeten Stimme eines „cute girl“ an. Offenbar eine Parodie auf die in jüngerer Zeit von Wirtschaft (unter anderem in der Haribo-Werbung), Politik (etwa Herbert Kickl, der für sich als künftiger „guter Familienvater“ der österreichischen Bevölkerung warb) und „sozialen“ Medien – unter Musk, Zuckerberg und ihren ebenso trumpistischen Konsorten – betriebenen Infantilisierung unserer Gesellschaft. Von der japanischen Kawaii-Bewegung über die florierende Manga-Ästhetik bis hin zum Kult um Barbie spannt sich der Bogen eines Eskapismus, der zwischen affirmativem „Cutie“-Klischee und Pseudo-Emanzipation oszilliert.

 

In Rage zieht Horenczyk mit Klebeband eine Grenze durch das Publikum, um den Spaltungswahn der Gegenwart darzustellen: Man ist auf einmal „rechts“ auf der einen und „links“ auf der anderen Seite, hier der Osten, dort der Westen, hüben der Norden und drüben der Süden. Die Performerin klebt einen engen „Safe-Space“ ab, führt mit projiziertem und zugleich verfremdet gesprochenem Text eine moralisierende Belehrung in Form eines Briefs oder einer Mail vor, bewegt sich lange quer durch das Publikum, visiert die Anwesenden andeutungsweise mit einer Gitarre an, zeigt im Video einen Sturm, der Palmen zerstört. Damit scheint die Künstlerin sagen zu wollen, daß gerade auch das politische Klima auf dem Planeten kippt, und es eigentlich eine starke, geeinte und vernünftige Linke bräuchte, um dem anschwellenden Orkan aus Rechtsradikalismus, Neofaschismus und Totalitarismus eine adäquate demokratische Abwehr entgegenzusetzen.

 

Vergifteter Diskurs und politische Verwerfungen

 

Doch die vitalsten progressiven Kräfte haben das vergangene Jahrzehnt damit verbracht, sich in engstirnige moralistische Regimes einzubetonieren und ausgerechnet die liberalen Gesellschaften zu spalten, anstatt mit kluger Beharrlichkeit emanzipatorische und soziale Verbesserungen sowie ethische Maßstäbe zu implementieren, die in Zeiten des Neoliberalismus verlorengingen oder marginalisiert wurden. Befeuert durch dieses Vakuum konnten international Wladimir Putin, Donald Trump, Marine Le Pen, Xi Jinping, Alice Weidel, Benjamin Netanjahu, Viktor Orbán, Robert Fico, Giorgia Meloni und ähnliche Politikerınnen antidemokratische Netzwerke unterschiedlicher Formate knüpfen, die zu den aktuellen – um es dezent zu formulieren – Verwerfungen geführt haben.

 

Mit dem Mut der Verzweiflung setzt Daphna Horenczyk ein Zeichen inmitten des gegenwärtig vergifteten Diskurs-Klimas, bei dem, wie in vielen Kulturblasen Deutschlands, aber auch Österreichs zu beobachten, offene Diskussionen kaum möglich sind. Trotzdem wird aus Rage überraschend kein inszenierter Wutausbruch mit Pogo-Tanz, sondern ein weniger agitatorisch als vielmehr poetisch gehaltener Versuch der Befreiung von rückwärtsgewandten ideologischen Verhärtungen, die gerade jeden positiven Gebrauch des Begriffs „Utopie“ ad absurdum führen.

 

Ein feministisches „Do it yourself“

 

Wie die anarchistischen Musikperformer im „No-Future“-Underground vor einem halben Jahrhundert, hat Horenczyk beinahe alles für ihr – ausgesprochen feministisches – Solo Rage selbst gemacht, bis hin zu Musik, Video, Bühnendesign, Text und Kostüm. Mitwirkende sind Kim Teitelbaum (Dramaturgie), bei der Technik Stefano D’Alessio und der Lichtdesigner Bruno Pocheron. Auch dieses – assistierte – „Do it yourself“ ist ein Statement, denn es macht relativ unabhängig von jenem gesellschaftlichen und politischen Druck, unter den die Künste während der vergangenen zehn Jahre auch in liberalen Demokratien relativ unwidersprochen geraten sind.

 

(20.2.2025)