Was ist Choreographie?
EINLEITUNG ZUR UMFRAGE
Begriffe sind Erzeugnisse ihres Gebrauchs. Da sich das, was sie bezeichnen, unweigerlich verändert, bemerkt ein Teil jener, die mit bestimmten Begriffen operieren, mit der Zeit, daß etwas nicht mehr stimmt. Verunsicherung macht sich breit. Während der vergangenen zehn oder fünfzehn Jahre ereignete sich im Tanz ein tiefgreifender Wandel. Während es an der Oberfläche so schien, als geriete das Tanzen im Tanz ins Abseits, expandierte das Feld in seinen Potentialen, geriet in Fluß und begann sich neue Terrains zu erschließen. Die daraus resultierende Irritation in der Identifizierung von Tanz stellte zwar nicht die Produktion von Kunstwerken, aber doch einige tradierte Denkmodelle in der Sparte in Frage.
Die Aufarbeitung und diskursive Ausleuchtung von Tanz als Gegenwartsdynamik bereitet corpus großes Vergnügen. Die Lust an der Entdeckung, am Freilegen von Kommunikationsstrukturen im und über den Tanz führte die Redaktion dazu, den aktuellen Status eines Begriffs näher zu betrachten, der (un)trennbar mit dem Tanz verbunden ist: Choreografie. corpus wollte wissen, wie und wo Künstler, Theoretiker, Kuratoren und Kritiker heute diesen Terminus orten. Also wurden mehr als 100 Personen aus dem Kommunikationsfeld darstellende Kunst angeschrieben mit der Bitte, diese Frage so konzise wie möglich zu beantworten: „Was ist heute unter ,Choreografie‘ zu verstehen?"
Und 52 der so Adressierten haben uns insgesamt 50 Texte geschickt, die wir nun auf Deutsch und Englisch veröffentlichen. Es ist ein, wie wir glauben, wunderbarer Polylog entstanden, ein vielstimmiges Abwägen, Be- und Umschreiben, der in der Lektüre genau das darbietet, was Tanz und Choreografie heute sind: ein geradezu ekstatisches Volumen an Möglichkeiten, in dem sich der Tanz heute zeigt. Die Texte wurden in einem assoziativen Verfahren von einer Gruppe der corpusRedaktion nach inneren Zusammenhängen geordnet und in sieben Gruppen aufgeteilt.
Jeder Wechsel von einer in die andere Gruppe ist – bei chronologischer Lektüre – als Pause gedacht, als Möglichkeit innezuhalten und zu reflektieren. Wenn wir nun im Folgenden die Namen der Autorinnen und Autoren alphabetisch auflisten, aber nicht verraten, in welcher Gruppe sich ihre Statements befinden, dann – leicht zu erraten – geschieht dies, um den Lesenden den Spaß an der Spurensuche nicht zu verderben. corpus möchte allen Beitragenden für ihre Großzügigkeit aus vollem Herzen danken, denn sie haben ihre Überlegungen uns allen zum Geschenk gemacht:
Ric Allsopp Andrea Amort Simone Aughterlony Milli Bitterli Peter M Boenisch Claudia Bosse Jonathan Burrows Franz Anton Cramer Scott deLahunta deufert+plischke |
David Ender Tim Etchells João Fiadeiro Christine Gaigg Sigrid Gareis Chris Haring Jack Hauser Adrian Heathfield Raimund Hoghe Sabina Holzer Yasmine Hugonnet |
Pirkko Husemann Claudia Jeschke Krõõt Juurak Stefan Kaegi Irmela Kästner Barbara Kraus Jennifer Lacey Rudi Laermans Jan Lauwers Xavier Le Roy
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Thomas Lehmen Boyan Manchev Michikazu Matsune & David Subal Eva Meyer-Keller Nikolaus Müller-Schöll Peter Panayi Jeroen Peeters Alain Platel Frans Poelstra & Robert Steijn |
Patricia Portela Jan Ritsema Gerald Siegmund Peter Stamer Chris Standfest Michael Stolhofer Superamas Wim Vandekeybus Julia Wehren Martine Pisani |
(17.12.2007 / 19.1.2020)