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Antworten 29–35

WAS IST CHOREOGRAPHIE #5

 

Ric Allsopp

Choreographie ist eine Neigung gegenüber einzelnen oder mehreren sich bewegenden Körpern, bei welchen eine Reihe von Spannungen festgemacht wird. Sie ist eine Zusammenstellung sichtbarer kinetischer Erinnerungen und Strategien, welche die Fähigkeit eines Körpers verstärken, mit anderen Körpern zu kommunizieren und sich zu integrieren. Die Bedingungen und die Reichweite der Choreographie können die Komposition purer körperlicher Bewegung sowohl einschließen als auch übersteigen. Die Choreographie benützt Formen und Vektoren der Bewegung, die eine sichtbare, aber nicht dauerhafte Spur hinterlassen. Sie legt eine kontinuierliche Folge von Fragen (im Gegensatz zu Lösungen) vor, die versuchen, Körper durch eingeschriebene und andere Prozesse in Bewegung zu halten. Wie andere Modalitäten des Schreibens kann auch die Choreographie jede lesbare Art von Bewegung sein. Sie muss nicht bereits choreographiert sein. Sie ist ein physischer und konzeptueller Katalysator, der bei der Produktion von Raum und der Erforschung körperlicher Beziehungen zwischen Risiko und Kontrolle vermittelt. Als interne oder externe Erinnerung wiederholbar, ist die Choreographie eine Kraft der Möglichkeit: dessen, was wir nicht über uns selbst wissen, und dessen, was wir in uns und anderen fürchten und begehren. Gleich anderen Praktiken erzeugt sie Bedeutungen, die zwischen den Formen, Abhängigkeiten und Flussrichtungen zeitgenössischer Kultur und ihrer Darstellungen oszillieren.

 

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Franz Anton Cramer

Ist es Organisation von Bewegung? Ist es Produktion von Bedeutung? Kreist es das Tanzen ein oder den Tanz? Ist es der Kreis der Bewegung, der Radius der Bedeutung, die auktoriale Instanz? Wenn Rudolf von Laban begann, die „Welt des Tänzers“ zu beschreiben, um dann ein Werk über „Choreographie“ vorzulegen, und aus beiden hervorgeht, daß jeder Mensch ein Tänzer ist (aber nicht jeder ein Choreograph) - dann ist das Gefälle angelegt, auf dem der Überblick in den Einblick hinabsickert. Trotzdem soll Choreographie auch Handwerk sein („Mach doch mal 'ne Diagonale!“). Aber wohl nur soweit, als auch Schreiben eine Fertigkeit voraussetzt: kinetischer Alphabetismus; bewegtes Schreiben; bewegendes Schreiben; Aufschreibesysteme. Bis zur Überdeterminierung: Tanzen unnötig, die Choreographie hat ja schon alles gerichtet. Wie im Werbeprospekt der Compagnie Deborah Colker: „Brasiliens schicke, knallige, sexy, meisterhafte und hinreißende Companhia de Dança wird Sie an den Karneval in Rio denken lassen, selbst wenn Sie ihn noch nie gesehen haben.“

 

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Peter Stamer

Was ist Choreografie? Die Organisation von Räumen, die sich zwischen bewegten wie auch zwischen bewegten und unbewegten Objekten aufziehen. Diese Verräumlichung entsteht sowohl durch produktions- als auch rezeptionsästhetische Verfahren, entweder also durch spatiale Formgebung (z.B. Schritt- und Bewegungschoreografie von Körpern) als auch mittels ästhetischer Wahrnehmung (z.B. Körper- oder Objektverhältnisse, die in den Blick genommen werden). Innerhalb dieser Organisation setzt Choreografie einen anderen, relationalen Raum in den bereits bestehenden, gegebenen cartesianischen; er ist dahin gehend relational, als dieser immer in Bezug steht zu eben dem vorgängigen Raum (Körper zu Raum), zwischen den Körpern (Körper zu Körper) oder zu virtuellen Konzepten. Die letzteren, unsichtbaren Raumsetzungen können emotional besetzt sein wie etwa das Verhältnis von Körper zu expressiver (eigener) oder repräsentierender (codifizierter) Emotion, oder abstrakt modelliert, wie z.B. ein gedachtes Raumvolumen (Forsythe: Kubus, Laban: Ikosaeder), das der Körper mit seinen eigenen, ausgestreckten Gliedmaßen beschreibt und sich auf dessen Bezugsspunkte, -linien und ­flächen bezieht (Kinesphäre).

 

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Jennifer Lacey

choreography [kawr-ee-og-ruh-fee, kohr-] Pronunciation Key – Show IPA Pronunciation – noun

  1. die Kunst, Ballette und andere Tänze zu komponieren und die Bewegungen, Schritte und Bewegungsabläufe von Tänzern zu arrangieren.
  2. die Technik der Repräsentation der verschiedenen Bewegungen im Tanz durch ein Notationssystem.
  3. die Anordnung oder Manipulation von Handlungen, die zu einem Ereignis führen: die Choreographie einer Geburtstags-Überraschungsparty.

Lieber corpus
wie üblich bevorzuge ich die dritte Bedeutung
love jennifer

 

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Patricia Portela

Choreographie dreht sich um Bewegung.
Und Bewegung dreht sich um Transformation,
um den Wechsel.
Winzig und riesig
Sichtbar und unsichtbar
Äußerlich und innerlich.
Choreographie begann als Plattform für die sichtbare Bewegung,
für den sichtbaren Wechsel.
Aber Choreographie begleitete die Erforschung des Körpers, die Entdeckungen des Körpers.
Äußerliche und innerliche Entdeckungen
auf der Makro- und der Mikroebene.
Ein Körper bewegt sich, wenn er atmet.
Ein Körper bewegt sich, wenn er liest.
Ein Körper bewegt sich, wenn er denkt, wenn er entscheidet, wenn er wächst, wenn er schläft.
Ein Körper hat andere Körper, die sich in ihm bewegen: Neuronen, Zellen, Partikel.
Aber wenn Choreographie das Studium der Bewegung ist, kann sie sich nicht nur um den menschlichen Körper drehen.
Choreographie dreht sich auch um die Bewegung, die uns umgibt,
die Planeten, die Sterne, die Städte, die Felsen, die Winde
organisch, anorganisch
natürlich, synthetisch,
lebendig oder tot
alles bewegt sich,
und Choreographie dreht sich um Bewegung.

 

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Scott deLahunta

Die Definition, die ich euch gerne schicken würde, ist ein *rekursiver Definitions-Algorithmus*, der sich in den ersten Tagen des MODE 05 Meetings über Tanzausbildung herauskristallisierte. An diesem Meeting (als offenes, selbstorganisierendes Format angelegt), das von 13.-19. März 2005 in der Fabrik Potsdam stattfand, waren etwa 25 Personen aus der zeitgenössischen europäischen Tanzszene beteiligt.

Mit dem Thema der Tanzausbildung befasst, entwickelten sich schnell mehrere Diskussionsstränge. Einer davon drehte sich eine Zeit lang um die Notwendigkeit einer Definition der Choregraphie, und aus diesem Moment sowie mit der Hilfe anderer formulierten Bojana Cvejic und ich folgendes:

„Eine offene, kontingente und prozedurale Definition der Choreographie: Sie ist etwas, das sich die Aufgabe stellt, im Gebiet der Choreographie etwas zu bedeuten. Der Prozess ist dieser Definition inhärent. Wir akzeptieren, dass ein Gebiet der Choreographie als Dialog mit bestehenden (historischen) Tanztechniken, Körpern, Texten und Bildern existiert. Und den Residuen sich bewegender Körper und Zustände (vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger).“

Im Lauf des MODE 05 Meetings bildeten sich kleinere Gruppen um gemeinsame Ideologien und Ansätze. Bojana und ich trennten uns und beteiligten uns an verschiedenen Diskussionen. In der Folge wurde die obige Definition von jener Gruppe aufgegriffen, die sich "white valley grey plain" (WVGP) nennt. Sie erscheint nun im Druck in der Folgepublikation namens *Reverse Engineering Education* (http://www.mode05.org/) in einem kurzen Essay, der im Namen der WVGP-Gruppe eingereicht wurde (verfasst von Bojana Cvejic und Mårten Spångberg).

 

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Jonathan Burrows

Bei Choreographie geht es darum, eine Wahl zu treffen, inklusive der Wahl, keine Wahl zu treffen.

 

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