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Slagmuylders Flug nach Wien
VORERST INTERIMISTISCH: EIN NEUER INTENDANT FÜR DIE FESTWOCHEN
Wer nach Tomas Zierhofer-Kins Rücktritt als Intendant der Wiener Festwochen an jemanden wie Frie Leysen als dessen Nachfolgerin dachte, wird über die Wahl von Christophe Slagmuylder zum interimistischen Festivalleiter ganz sicher nicht unglücklich sein. Natürlich hätte Leysen diese Aufgabe genausogut übernehmen können, und das hätte auch Pfeffer gehabt nach der Standpauke, die sie den Wienern 2014 nach ihrem Einjahres-Erlebnis als Schauspieldirektorin der Festwochen halten musste. Doch genau ihre traurigen Erfahrungen hätten eine Rückkehr sicherlich unterminiert.
Mit Slagmuylder kommt aber nun Leysens Nachfolger – ab 2007 – als Direktor des renommierten Brüsseler Kunstenfestivaldesarts nach Wien geflogen. Vorerst wird er für die Festwochen-Ausgabe 2019 verantwortlich sein. Damit hat Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler Luft für eine ordentliche Ausschreibung dieser wichtigen Personalie geschaffen, an der sich dann, wie es heißt, Slagmuylder auch beteiligen könne. Für 2020 hat der 51-Jährige zwar die (einmalige) Leitung des triennalen Festivals Theater der Welt übernommen, das dann vom 14. bis 31. Mai stattfinden soll und sich mit der ersten Hälfte der Wiener Festwochen überschneidet. Doch diese Steilvorlage muss kein unüberwindliches Hindernis darstellen, wenn es dem künftigen Intendanten gelingt, sich mit einem fähigen Kokuratorınnen- und Dramaturgınnen-Team zu umgeben.
Das Kunstenfestival findet im Mai statt. Es hatte dieses Jahr auch den österreichischen Choreografen Philipp Gehmacher zu Gast – mit my shapes, your words, their grey –, weiters Sarah Vanhees Stück Unforetold, das vor Kurzem in Angela Glechners Salzburger Sommerszene-Festival zu sehen war, und Eszter Salamon, die mit einer Arbeit über Valeska Gert bald bei Impulstanz präsent sein wird. Zu den weiteren Programmpunkten des Brüsseler Festivals gehörten diesmal etwa La Plaza von El Conde de Torrefiel, das auch bei den Festwochen 2018 glänzte, Alexandra Pirici – sie war Teil des Tanzquartier-Eröffnungsprogramms vergangenen Jänner –, Macaquinhos (in Wien bekannt von den Festwochen 2017) oder Alma Söderberg, die bereits vor Jahren bei Impulstanz aufgetreten ist.
Es gibt also eine kuratorische Brücke zwischen Wiener Institutionen und Christophe Slagmuylders Interessen, die sich bei näherer Untersuchung noch verstärkt darstellen ließe. In Wien kann – und muss – der Belgier auch mit Großproduktionen arbeiten, wobei er ohne Weiteres über den von unter anderen Fabre, Lauwers oder Platel gezogenen belgischen Horizont hinausblicken könnte. Dieser kleine Vorgriff sei gestattet. Im Übrigen wird man Slagmuylder, sollte er nach seiner Interimsintendanz auch weiterhin die Leitung der Festwochen übernehmen, einen weiten Handlungsspielraum zugestehen müssen.
Mit konservativ ideologischen Behauptungen wie Tomas Zierhofer-Kins „antibürgerlicher Gestus“ hätte „heute etwas Anachronistisches an sich“ gehabt (Thomas Kramar von der Wiener Tageszeitung Die Presse in der ORF-Sendung Kulturmontag vom 25. Juni 2918) wird man hierzustadt weiter leben müssen. Ebenso mit der Tatsache, dass etliche Mainstream-Medien zunehmend Äußerungen offensichtlich inkompetenter Meinungsträger verströmen. Überhaupt hat die öffentliche Einigkeit hinsichtlich der Irrungen innerhalb der Festwochen-Programmierung bereits den Charakter eines Backlash angenommen, der eher ein bedenkliches Reflexionsniveau in der Wiener Kultursphäre widerspiegelt als einen kritischen Diskurs.
Wo sich dieses Niveau ansiedelt, ist denn auch tatsächlich in einem Artikel von Thomas Kramar über Boris Charmatz’ Stück 10000 gestes zu lesen, mit dem sich die Wiener bürgerliche Zeitung Die Presse selbstbewusst in den Klub der Boulevardmedien begibt. Wer keine Ahnung davon hat, worüber er schreibt, glaubt eben, Charmatz habe Mozarts Requiem bloß „vertanzt“, spottet mit Begriffen wie „Bodengymnastik“, weil er’s nicht besser weiß, und sitzt halt dem Irrtum auf, das von dem französischen Choreografen initiierte Musée de la danse wäre wirklich ortlos. Dass ein solches Gefasel eine verächtliche Geste gegenüber den Presse-Leserınnen ist, fällt dem Kritikaster offenbar nicht auf. Im Allgemeinen gilt: Wer mit ausgebreiteten Armen durch die Gegend rennt und dabei nach Kräften furzt, ist noch lange kein Luftverkehrsexperte. Das ändert sich auch dann nicht, wenn ihn das Fernsehen nach seiner Meinung zu den Emissionen moderner Fluggeräte fragt.
(26. 6. 2018)