„Tanzt und baut, sonst sind wir verloren“ – PS

DOKUMENTARISCHE GESTEN ÜBER THEATER UND LEBEN IM KRIEG IN DER UKRAINE

Von Ielizaveta Oliinyk

PS: Zu einem hohen Preis

27.01.2023

 

Wieder und wieder bin ich mit Menschen konfrontiert, die weder jemals in der Ukraine waren, noch Bekannte, Freund*innen oder Verwandte dort haben, aber sehr leidenschaftlich argumentieren, dass Waffenlieferungen in die Ukraine den Krieg noch verschlimmern und zur Bedrohung des Friedens in ganz Europa führen würden. Ihrer Meinung nach wäre es am besten, ein Stück des Landes den Russen einfach zu übergeben und so schnell wie möglich Verhandlungen mit dem terroristischen Staat aufzunehmen.

 

Meistens empören sie sich sehr, wenn ich ihre Rhetorik mit der von Putin vergleiche, der Anfang Februar, gleich zu Beginn des Krieges in der Ukraine in seiner Rede die Strophe aus dem Lied einer Musikgruppe „Roter Schimmel“ (Krasnaja Plesen) rezitierte: „Ob es dir gefällt oder nicht, meine Schöne, du musst es erdulden“. Damit verglich er die Ukraine mit einem Vergewaltigungsopfer, die einfach alles, was kommt aushalten muss.

 

Vor Beginn des Krieges war die Ukraine praktisch ein blinder Fleck für viele Europäer*innen. Fast ein Jahr nach dem Beginn des Kriegs stellen Menschen im Westen noch immer die gleichen Fragen, etwa ob die ukrainische und russische Sprache nicht ähnlich wären und wundern sich zu hören, dass Gogol ein ukrainischer Schriftsteller war. Dies scheint ein Ergebnis der jahrelangen russischen Propaganda, aber auch ein Infantilismus des Westens zu sein.

 

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Vernichtungskrieg gegen alles, was ukrainische Identität ausmacht - Sprache, Kulturgut und Ukrainer*innen selbst, die Träger dieser Identität sind. Laut offiziellen Daten des Ministeriums für Kultur und informationelle Politik vom September 2022 wurden durch den Krieg 500 Kulturstätten (Kirchen, Denkmäler, Archiven, Museen, Theater) zerstört oder massiv beschädigt. In Kherson zum Beispiel wurde von zwei der größten Museen - Landes- und Kunstmuseum- fast alle Exponate nach Russland abtransportiert. Allein aus dem Kunstmuseum wurden 14 000 Objekten gestohlen.

 

Manchmal denke ich: Was für einen hohen Preis muss die Ukraine zahlen, damit die Welt ihre Kunst, Kultur und Sprache sowie die Würde der Menschen anerkennt, in ihrem eigenen Land über die Zukunft zu bestimmen. Ich hoffe, dass die Ukrainische Sprache in den Abteilungen für Slawistik bald keine marginale Nische mehr ist. Es gibt bis jetzt sehr wenige Universitäten, an denen überhaupt Ukrainistik gelehrt wird. Vor ein paar Monaten teilte ein Freund, der Ukrainisch in Berlin und Wien studierte, mir traurig mit, dass seine Fakultät eine ukrainische Sommerschule absagen sollte, da sie nicht genug Bewerber*innen hatten. Ich träume davon, dass das Interesse für ukrainische Literatur, Musik und Theater ebenso groß wird, wie für russische Kunst.