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EIN BRIEFWECHSEL (MIT SCHNELLEN SÄTZEN VON DAVID ENDER, NICOLE HAITZINGER, JACK HAUSER, SABINA HOLZER, JEROEN PEETERS, HELMUT PLOEBST, ANDREAS SPIEGL & MARCUS STEINWEG)
Betreff: Ein an den Anfang gesetztes Post Scriptum zu Dokument Datum: 03. Juli 2014 15:30:36 GMT+02:00 Lieber Jack, das Versprechen, unser Material am Ende noch einmal systematisch zu überarbeiten ist von mir nicht eingelöst worden. Es würde – so wage ich zu behaupten – unsere im Akt des Schreibens hervorgebrachte „wilde“ Ordnung der Dinge ausstreichen, die scheinbar Nebensächliches, oder besser: Situatives und Anekdotisches integriert. Deshalb möchte ich die meinen Ausführungen unterliegende Struktur offenlegen: Erstens die paradoxale theoretische Annäherung an die Unbestimmtheit und Unverfügbarkeit des Performativen, zweitens die De-Finition, das heißt die Entleerung und Aufladung des Begriffs, und drittens eine von mehreren möglichen Konkretisierungen, nämlich das exemplifizierte Vertilgungs-Modell. Herzlich, Nicole |
Von: Jack Hauser Betreff: Dialog Datum: 14. Mai 2014 17:04:14 GMT+02:00 An: Nicole Haitzinger Liebe Nicole, Ahnung in die Gegenwart gesetzt. Mit folgendem Text zum Performance Festival OPEN der Universität für Angewandte Kunst am 10. Mai 2014 feure ich mich selbst an und bin eine Spielfigur, die in unbekannten Regionen handelt und denkt: Wenn sich eine Welt öffnet, wo das Offene sich darstellt und ausstellt, DANN befindet sich die Performance an ihrem potentiellen Ort. Die Kunst der Performance passiert an der Grenze des Bestimmten und radikalisiert sich durch Entzug und Wildheit. Wenn es überall um Performance geht, DANN gilt es sich darum zu kümmern, dass die Performance als Kunst spezifisch unbestimmt bleibt. Die Kunst der Performance öffnet einen dritten Raum, der nicht die gemeinsame Schnittmenge zwischen Darstellender Kunst und Bildender Kunst ist, sondern eine involvierte Durchdringung von Welt herstellt. Jetzt denke ich, dass das zumindest mit mir passiert. Dieser Dialog mit dir, wird mich (und damit meine ich nicht Jack Hauser, sondern die Leserin dieses Textes) involvieren. P.S.: Zur Frage, was die textliche Zusammenarbeit von Nicole und mir im Auge hat: EIN DIALOG VON NICOLE UND JACK ALS EIN DIALOG VON TEXT UND LESERIN – ein Dialog zur Überforderung, die eine Performancekunst im 21. Jhdt. dar / aus / herstellt. Mein Ansatz ist, dass die bisherigen Ordnungssysteme / formen / gefäße beschleunigt werden müssen (im Denken und Visualisieren) – über die jeweiligen Grenzen hinein und hinaus. – eine Notiz zu einer Kunst des Übermorgens, die uns einen neuen Blick auf die Vorvergangenheit / Geschichte / Identität / Wirklichkeit ermöglicht. – die Erzählung der Offenen Künste (Erde moduliert durch Mars moduliert Orion mit Sternenhaufen M44), die auch kreolische Künste genannt werden. – und zu diesen bereits gestellten Fragen: 1. wie ist ein spezifisch unbestimmter 3. Raum der Performance (abseits der Dramatischen und Bildenden Kunst) im Verschwinden zu behaupten? 2. vgl. Wittgenstein: Das Sprachspiel steht da wie unser Leben, jenseits von berechtigt und unberechtigt, jenseits von gut und böse, als etwas Animalisches, weil es den Kontakt zur dionysischen Unschuld markiert. Ein Tierwerden? 3. der Unterschied der Ökonomien der Performancekunst in der Darstellenden und Bildenden Kunst? 4. das Gedächtnis der Performance: notwendige Amnesie? – die andauernde Schwierigkeit, die die 'Pataphysik bereitet... |
Betreff: Gefäßposter |
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Zwei ©eSel – Fotos vom Performancefestival OPEN als Schnappschüsse einer außerirdischen Besucherin betrachtet: |
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DOPPELUNG. JA! Da das Reale etwas ist, was kein Double hat, wird es als solches durch die Inexistenz des Doubles erkannt, also durch die Figur einer Rückseite, die die Vorstellung seiner unsichtbaren Vorderseite erlaubt. (Clément Rosset) DEINE LESERIN |
Lieber Jack, Wenn Performance als Kunst spezifisch unbestimmt bleibt, wie wir behaupten, ist es dann nicht unsere Profession (im Sinne von Jacques Derrida in Die unbedingte Universität verstanden als „performative Erklärung") darüber nachzudenken, welche Bedingungen für die potentielle Öffnung gegenwärtig gelten müssten? Und uns zugleich zu fragen, wer sich tatsächlich als bedingungsloser Agent zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Universität / Akademie und KünstlerInnen, zwischen darstellender und bildender Kunst und zwischen verschiedenen AkteurInnen im kulturellen Feld versteht? Wie könnte man sich dem zugleich als performativ und transmedial verstandenen Körper in der Gegenwartskunst als „Suchbegriff" auf multiperspektivische, gleichzeitig vertiefende und entschleunigte Weise annähern? Hieße das nicht, sich mit seiner Theorie und Geschichte reflexiv auseinandersetzen – auch im Hinblick auf die aktuellen Debatten zu Queer- und Postkolonialismusdiskursen –, und zugleich andere Formen von Wissen über Modellierung von anwesender wie abwesender Körperlichkeit verfügbar zu machen? Müsste nicht die historisch bestimmbare „Aufteilung des Sinnlichen" (Jacques Rancière) und Trennung von performativen / theatralen und bildenden Künsten (Kunstpraktiken, Institutionsgeschichte, Disziplingeschichte...) für performative Kunst programmatisch als Zusammenfügung gedacht werden, die das jeweils Differente respektiert? Könnte performative Kunst als gegenwärtige Möglichkeit der Erfahrung und der Entgrenzung, als leidenschaftliche Erprobung von verschiedenen Möglichkeiten des In-der-Welt-Seins mit dem Körper und durch den Körper verstanden werden? Ginge es vielleicht um die Erprobung von diversen Formen der Partizipation, wie auch um einen Respekt dem Plural der Kunst gegenüber, ohne die Aufmerksamkeit auf das Detail, das Fragment oder das Spezifische zu verlieren? Und wären schließlich nicht gerade künstlerische Grenzgänge als Mittel zu privilegieren, als Mittel, um das jeweils als temporär und transformativ verstandene Eigene zu erkunden und zu entwerfen? P.S.: Über das „Wilde“ im Denken und Tanzen werden Zeilen folgen. Liebe Nicole, jede Performance hat ihre spezifischen Bühnen und Produktionsweisen und Ökologien. Und ihre spezifischen Agentinnen. Ein Beispiel: Du als Leserin dieses Textes, der mit dem Computer geschrieben ist, kannst am Computer gelesen oder ausgedruckt werden. Er wird möglicherweise auch aus einem Buch, neben anderen Texten, herausgerissen und als Textschnipsel montiert. Wind, Sand, Steine und Würmer, Magnetstürme und Speichel arbeiten mit ihm. Jetzt. Immer jetzt ereignet sich durch seine beliebigen Agentinnen eine spezifisch unbestimmte Performance. In der Wohnung Miryam van Doren haben sich die künstlerischen Grenzgänger zu unheimlichen Raumagentinnen erweitert. Letztendlich als der Raum selbst. Keine Fusion der Künste oder opernhaftes Gesamtkunstwerk. Und ich denke, durch diese Erfahrung kann die mögliche Kunst des dritten Raumes der Performance nicht mehr als transmediale Kunst gedacht werden. Der dritte Raum ist der Raum, der sich mehr durch die Dauer definiert und weniger durch seine Inhalte oder Zeichen. Im dritten Raum wird die Dauer zum Material, mit dem gekritzelt, gebastelt und gespielt wird, wie mit jedem anderen Material der Künste. Du, liebe Leserin, bist ebenfalls Dauer. Und genau dieser Aspekt macht die Performacekunst spezifisch. Du bist involviert. Ob du willst oder nicht. Und das stellt eine Überforderung nicht dar oder aus: diese Überforderung stellt her und performt sich mit dir in der Dauer. |
Betreff: SCHNELLER SATZ |
liebe nicole und liebe sabina! lieber marcus, helmut, andreas, jeroen und david! ich lade euch herzlich ein, dem folgenden satz (text und bild) einen zu / gegen / satz zu geben. (als unmögliches spiel in einer möglichen werkstatt) freue mich auf die sprünge;-) euer jackout Während Tiere und Pflanzen und Mineralien und (...) mich am Leben erhalten, denke ich an die symbolische Welt, die uns unsere Kultur anbietet. Das Spannende an der Performancekunst für mich ist das Angebot, sich als Körper in die symbolische Welt einzusetzen und dadurch diese zu entzeichnen. |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
lieber jack, dein bild ist von einer beinahe erhaben wirkenden ironie. ich dachte gleich an santa claus, ein industrieprodukt wie spiderman. und an ernest hemingway wegen seiner geschichte „a clean, well-lighted place". das war noch nicht mein satz. da kommt er: Transkription und Translation: Die in einem Gen auf der DNA liegende Information wird von der „messenger RNA“ kopiert und zum Ribosom transportiert, wo mit Hilfe dieser Information die Proteinbiosynthese stattfinden kann. Zeichensysteme sind bereits auf Molekularebene konstitutiv für alles Lebendige. Auf der Repräsentationsebene für alles Soziale. So sind sie doppelt konstitutiv für einen Körper, den die Kommunikation als Marionette ihrer Autopoiesis zu seinen Performances bringt. Und diese bestehen aus nichts anderem als aus Zeichenoperationen. alles beste, helmut |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
Entzeichnung des Entzeichners der Welt, Entsetzung des Sätzesetzers, Entzündung des Mystikers, Entzückung des Mistkerls, Entziehung des Gorillas in the mist, enthusing of Mister Palomar, enticement of the misty, entrenchment out of focus, entrancement in the missing. |
Best, Jeroen |
mister palomar says: thank you so much mister peeters. love entjackung |
Betreff: Re: ENTJACKUNG |
THEY CALL ME DEFOE, SAYS THE MAN IN THE BLUE BOILERSUIT. |
Blue boilersuit: And for fans of popular music, Pete Townshed of The Who frequently wore a white boiler suit during performances and in publicity photographs during the early 1970s. |
Lieber Jack, ich sehe unseren Dialog als Skizze, die ich gerne am Ende bearbeite. Ich möchte manches ausdifferenzieren, erweitern, ergänzen beispielsweise mit genaueren Angaben etc... Jetzt schreibe ich assoziativ, das Konzise folgt... LG Nicole Lieber Jack, Amanda Piña hat mir gerade etwas erzählt, dass ich in Nähe zu Deinen Zeilen denken würde. Nach 15-jähriger Pinochet-Diktatur in Chile wurde 1990 ein internationaler Kurator eingeladen, den lokalen KünstlerInnen wesentliche Aspekte der Gegenwartskunst zu kommunizieren – ein Wissen, auf das sie wegen der Geschlossenheit des politischen Systems nicht zugreifen konnten. Der Kurator residierte in einem Hotel in Santiago de Chile. Auf Nachfrage, wie es ihm vor Ort gehe, welche Eindrücke er habe, antwortete er: Es ist seltsam, die Menschen scheinen zu fragen, welchen Beruf ich habe, ich antworte und dann wünschen sie, dass ich ihre Kinder berühre. Sie sprechen auf Spanisch, ich verstehe wenig. Schließlich klärt sich das „Missverständnis" auf: Unter „Curador“ verstand man Heiler. In einem gewissen Sinne sollte die Funktion des Kuratierens von performativen Künsten – weder ausschließlich noch esoterisch konnotiert – von dieser Wortbedeutung nicht völlig losgelöst sein. Herzlich, Nicole Lieber Jack, ich möchte diese Zeilen in unseren Dialog aufnehmen, gut? Alles Liebe Nicole |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
Lieber Jack: Hätten die Pflanzen einen Ovid hervorgebracht, würden sie die Photosynthese wahrscheinlich auch als Metamorphose beschreiben und in den Photographien der Menschen nur eine andere Form der Photosynthese erkennen. Da die Performance nicht umhin kann, den Metamorphosen zu folgen, erscheint sie als Mechanik für eine Photosynthese der Kultur – als Apparatur für eine Verwandlung von Sprache in ein Staunen, das in seiner Sprachlosigkeit nur die Sprache verdaut, um neues Vokabular zu düngen. Die Pflanzen haben ihren Ovid, verwandelt nur im Namen nehmen sie sich kein Wort vor den Mund. Lieben Gruß Andreas |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
Lieber Jack, Variation in S. |
Bild: Kuss der Spinnenfrau, Film von Héctor Babenco |
Während Tiere und Pflanzen und Mineralien und [...] Teil meines Lebens sind, denke ich an die Symbole, die unsere Kultur dafür anbietet. Das Angebot des Körpers ist sein Gedächtnis, in dem alle Übergänge gespeichert und in Vorbereitung sind. Das Lesbare und Unlesbare, das wir nichts desto trotz versuchen zu entziffern. Das Spannende der Performancekunst besteht in und erliegt dem Kontakt, der sich daraus ergibt. Deine Sabina |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
Lieber Jack! „Die Symbole", sagt Hembert Nora mit unnötig theatralischem Stentortenor – wer mag, denkt dabei an Queneau –, „haben mir ein Auge (links) ausgestochen, und ich kann sie nicht mehr hören." Damit sich verbeugend, und hernach mit rostendem Ton den Renaissance-Schlager 'O rosa bella' sumsend, stakst er davon in das untergehende Abendland. Hurra! Beste Grüße, d. |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
Von: m.steinweg Betreff: SATZ Datum: 02. Juni 2014 15:39:21 GMT+02:00 An: jack |
1. Kann man Kunst und Philosophie ohne die Unbekümmertheit der Kinder und die Wildheit der Natur genannten Zone und ihrer ausgelassenen Bewohner, die die Tiere sein sollen — zumindest will es unser Phantasma so —, imaginieren? 2. Gibt es Körper, die sich dem Körperobskurantismus widersetzen, indem sie eine Resistenz gegen alle Ideologien, die dem Körper eine Existenz jenseits des Denkens versprechen, generieren? |
Betreff: Re: SCHNELLER SATZ |
DAS FÄLLT MIR GERADE EIN: seit jahren spukt in mir (eingeplanzt von oswald wiener / -gruppe / wittgenstein und hubert fichte) der satz: wer denken kann, aber nicht sprechen, dem wird man nicht glauben. da er von schönberg sein soll, der satz, ein absatz aus dem wikipedia-eintrag zu schönbergs oper MOSES & ARON: Er verwandelt den Stab des Moses in eine Schlange, als Gleichnis für die Verwandlung des göttlichen Gesetzes in menschliche Klugheit. |
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Moses lehnt zunächst ab, da er nicht redegewandt sei und ihm niemand glauben werde. „Meine Zunge ist ungelenk, ich kann denken, aber nicht reden.“ Schönberg betont die Konfrontation zwischen den Brüdern Moses und Aron und ihre Einflussnahme auf das Volk Israel. Entsprechend werden die Hauptfiguren anders dargestellt als in der biblischen Erzählung. Der biblische Moses bewirkt selbst etliche Wunder. Der Moses in der Oper besteht hingegen darauf, dass Gott unvorstellbar ist. Er lehnt daher Wunder, Zeichen, Gleichnisse und Götterbilder als Darstellung des Undarstellbaren ab. Die Wundertaten Arons werden in der Bibel als Dienstleistungen für Moses dargestellt. In der Oper werden sie zum Akt des Ungehorsams gegen das göttliche Gesetz und gegen Moses. Die Tatsache, dass die Figuren sich nur frei an die biblischen Figuren anlehnen, wird auch durch die geänderte Schreibweise des Namens Aron (statt, bei Luther: Aaron) ausgedrückt. Eine andere Theorie besagt, dass Schönberg – ein bekannter Triskaidekaphobiker – den Namen „Aaron“ um einen Buchstaben gekürzt habe um zu verhindern, dass der Titel seiner Oper aus 13 Buchstaben bestehen würde. VIELEN DANK AN EUCH ALLE, DIE SICH AUCH ABSEITS DES MARKTES UND DER AKADEMIEN MIT KUNST UND PHILOSOPHIE TÖTEN = LIEBEN. EUER JACK
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Betreff: Re: Gefäßposter |
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Von: Nicole Haitzinger Betreff: Dialog Datum: 04. Juni 2014 17:33:36 GMT+02:00 An: Jack Hauser |
Der unbestimmte dritte Raum, wollen wir ihn provisorisch so nennen, ist für mich nicht referenzlos, auch wenn die Sehnsucht danach ihn zu füllen und vielleicht sogar hervorzubringen vermag. Er kann jedoch – so sei hier behauptet – jenseits von Referenzen temporär in Erscheinung treten. Entgrenzende Geschehnisse, die wir als Kunst kontextualisieren, entzünden die Frage nach der De-Finition des Performativen. Vielleicht kann im Gespinst der scheiternden Zuordnungsversuche ein besonderer Moment in Erscheinung treten. Ein Moment, in dem der Begriff in seiner Kodifizierung nicht mehr funktioniert und nun über die (Sinn- wie Bedeutungs-) Entleerung, seine offenbarte Schwäche in einen potenziellen und dynamischen Prozess der Namensgebung eintreten kann. [Vgl. Ernesto Laclau, On Horizon and Discourse] Ist hier ein potentieller Anschluss an das „Wilde“ denkbar, mit dem Wissen um die Janusfigur des „très sauvage“ der 1920er Jahre? |
-----Ursprüngliche Nachricht----- Von: Jack Hauser Gesendet: Mittwoch, 4. Juni 2014 15:26 An: Marcus Steinweg Cc: Nicole Haitzinger; Sabina Holzer; Andreas Spiegl; Helmut Ploebst; Jeroen Peeters; David Ender Betreff: Re: SCHNELLER SATZ APROPOS: DER KÖRPER IST DAS AUSGESTÜRZTE. EUER JACK (schau mir gerade die ungeschnittene aufzeichnung der wiener-festwochen1999 – wahlverwandtschaften-performance von uns (luxflux-sairablanchetheatre) an. (2x4 stunden performance = 2x4 stunden film = nähe zu jacques rivettes filmimprovisation OUT1.) |
liebe nicole, danke. das wird ein sehr spannender dialog. bin sehr zufrieden. ich werde in den nächsten tagen alles bisher geschriebene in eine chronologische anordnung bringen. auch die insgesamten „schnellen sätze". bin neugierig was das wird. und bei unserem treffen können wir uns an das weitere heranmachen. freue mich sehr. mut und mut und mut. alles liebe dein jack knight |
DOPPELUNG. JA! Da das Reale etwas ist, das kein Double hat, wird es als solches durch die Inexistenz des Doubles erkannt, also durch die Figur einer Rückseite, die die Vorstellung seiner unsichtbaren Vorderseite erlaubt. (Clément Rosset) DEINE LESERIN |
Lieber Jack, das ist schön! Ich möchte Dir auch weiter denken und schreiben. Es ist eine sehr intensive Zeit für mich, ich arbeite an meinem Habilitationsvortrag und fühle mich, als hätte ich nicht genug Zeit für unseren Dialog, kann „nur“ assoziieren und dringe nicht in die Tiefe… Voilà, ich freue mich auf die Überarbeitung. Bis bald, Nicole Lieber Jack, zu meinen Gedanken zum Raum möchte ich gerne das untere Bild mit dem deutschen Titel platzieren: „Der Raum kann zu einem Fisch werden, der einen anderen vertilgt.“ Artikel Espace, Documents, 1930, Nr. 2, 43. Zum „très sauvage“ passt die Doppelung mit dem oberen Bild. Was meinst Du? Herzlich, Nicole |
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Lieber Jack, nach unserem Gespräch über gegenwärtige Dokumente möchte ich gerne drei Aspekte aufgreifen, die ich vorläufig benenne mit „Performance als Projektion ohne Leinwand“, „Der Raum kann zu einem Fisch werden, der einen anderen vertilgt" und das angekündigte „très sauvage". Im wilden Denken über Performance ist nach Jack Hausers Denkmodell Performance dem Abspielen eines analogen Films ähnlich, der (noch) auf keine Leinwand trifft und doch im Raum als Vorstellung präsent ist. In diesem Lichtstrahl erkennt man – so mein Weiterdenken – (Staub-)Partikel, ein Verweis auf Archive, vielleicht das Fragment eines Körpers (Kopf, Hand), das sich temporär und wahrscheinlich ungewollt als Schattenfigur in (die) Szene setzt. Beides zeugt von einer Ereignishaftigkeit, in der sich Abwesenheit und Anwesenheit gegenseitig bedingen. Man könnte von einem Raum sprechen, der durch eine paradoxale Dauer von Momenten und durch Bewegungen / Gesten von Figuren, die Menschen und Dinge sein können, hervorgebracht wird. „Der Raum kann zu einem Fisch werden, der einen anderen vertilgt" ist der Titel eines Bildes aus Documents (1930), einem Zeitschriftenprojekt (1929 – 1931), das von einem Kollektiv um Georges Bataille und Georges-Henri Rivière herausgeben wurde. Diese Vertilgung, die man auf die künstlerischen Akte der Kannibalisierung und Inkorporierung (von „anderen" Formen, Gesten, Energien) der Avantgarde beziehen kann, erinnert mich an unseren Dialog Kannibalen wie tanzende Tierchen. Der Tanz, die Regimes, das Formlose und die Anthropophagie (http://www.corpusweb.net/kannibalen-wie-tanzende-tierchen.html). Das gegenwärtige „Wilde" im Denken über Performance unterscheidet sich vom „très sauvage" in der (westlichen) Moderne, vor allem der 1920er Jahre, das die Ästhetik des „Wilden" privilegiert und tendenziell das politische Regime des Kolonialismus in der Verfertigung von Kunst wie in der Rezeption ausblendet. Ähnlich ist, dass es sich in einer „wilden Zone" (Michel Leiris) jenseits von de-finitorischen Raumordnungen bewegt und der Modus der Legitimation temporär ausgesetzt scheint. Herzlich, Nicole Haitzinger P.S.: In meiner ersten E–Mail sollte ein Verweis sein auf: Juliane Rebentisch, Theorien der Gegenwartskunst. Hamburg: Junius, 2013. (veröffentlicht am 23. 6. 2014) |
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