Am Wüstenstrand

EINES FRÜHEN NACHMITTAGS RIECHEN HERBERT UND ICH DIE SEE

Von Helmut Ploebst

Unlängst habe ich in einer der vergessensten Satteltaschen meines alten Kamels ein Kinderfoto gefunden, auf dem ich mich wiedererkenne, so wie ich war, damals, als ich mein Heim einmal kurz verlassen wollte, um nachzuschauen, was sich „oben“ oder „draußen“ so alles abspielt. Das Bild unten hat meine Broma geknipst.

 

O ja, das gab es noch, dieses Hybrid aus Bruder und Großmutter mit angeborener Kehlkamera. Meine Broma konnte alles auf Biofilm bannen und sich merken, aber die meisten dieser gespeicherten Werke sind mit dem Verlöschen ihres eidetischen Gedächtnisses vergangen. Ich konnte nur einen Bruchteil davon aus ihrem linken Ohr saugen, bevor der Zerfall alles andere auflöste.

 

Mein schönstes Kinderlächeln. Und diese starken, gesunden Fingernägel!

 

Das Kamel trägt schwer an den vielen Satteltaschen. Meine Vama – der spätere Ausdruck Vatermama für das früher gebräuchlichere Mutpa, also Mutterpapa – sagte immer, ich sollte diese Taschen doch endlich aufräumen: erstens, weil sie zu voll sind und zweitens, weil mein Kamel leidet, wenn es so sehr schleppen muß.

 

Was nicht auf dem Kinderbild – vielleicht hat Bromas Gedächtnis es nachträglich bearbeitet – zu sehen ist: Ich hing bereits am Haken. Viele weitere Haken später war ich ganz aus meinem Heim geholt. Es war schon speziell, an diesen Haken zu hängen. Vor allem, weil manche von ihnen bald schmerzhafte Entzündungen verursachten. Erst später habe ich gelernt, auf die Narben, die sie hinterließen, so etwas wie stolz zu sein.

 

Gut fand ich’s auch, wenn eine Entzündung schick aussah, wenn die gefühlte Choreografie des von ihr verursachten Schmerzes meinen ästhetischen Ansprüchen genügte – da war ich besonders wählerisch – und wenn die dadurch erzwungene Veränderung meines Verhaltens eine besondere Dramaturgie zeigte. Jetzt bin ich weniger anspruchsvoll. Die meisten alten Haken sind abgefallen, und es kommen nur noch wenige neue dazu. Heute bin ich äußerst attraktiv auf dem gesamten Körper vernarbt.

 

Vor ein paar Tagen hat mich mein Kamel morgens ausgegraben – obwohl ich heute ein anderes Wesen bin, zieht mich die Kindergewohnheit manchmal immer noch unter die Oberfläche –, da mußte ich schreien. Das war äußerst peinlich, weil sich das Tier erschreckt hat und weil meine aktuelle Entzündung eine auf mich eher lächerlich wirkende Färbung zeigte, die wirkte, als ob sie sagen wollte: „Du, mach’ dir keine Sorgen, das wird schon wieder.“

 

So etwas wird einem bei den während der vergangenen Jahre selten gewordenen Begegnungen mit anderen Unabhängigen gelegentlich gesagt. Ich solchen Fällen kann ich nur betreten zu Boden blicken und murmeln: „Ja, du hast sicherlich recht.“ Das Kamel hat seine Fassung glücklicherweise schnell wiedererlangt, denn es kennt mich und leistet sich nur wenige Allüren. Manchmal frißt es jemanden, dem wir zufällig begegnen, denn mein altes Reittier ist ein Raubtier.

 

Ja, warum nicht? Es ist immerhin ein chinesisches Drachenkopfkamel. Darüber könnten wir jetzt offen reden, wenn Du Interesse dafür hättest. Und darüber, warum mein Kamel darauf besteht, daß ich meine Hufe mit Büchern beschlage. Ich müßte das nicht tun. Denn wenn ich meine Füße in einem speziellen Bildersaft bade und diesen aushärten lasse, habe ich bequemere Schuhe an. Aber nein, das Kamel neidet mir bei allen Gelegenheiten jeden Tropfen, und so trage ich eben die beiden Buchhufe. Während unserer rastlosen Wanderungen durch die pannonische Wüste stoßen wir hin und wieder auf verlassene Bibliotheken. Dann heißt es, entweder die Bücher wechseln oder es gibt kein Weiterkommen.

 

Sehr gerne frißt mein Kamel auch andere Kamele. Erst schnuppert es an dem potentiellen Mahl und kalkuliert seinen Nährwert. Wenn die Rechnung stimmt, tut es so als würde es sich abwenden wollen und beißt dem anderen dann blitzschnell in den Hals. Wie meine Speziesgenossen es auch machen. Daher ist mein Hals besonders dick vernarbt. Das Kamel hieß in seiner Jugend Donna, aber vor zehn Jahren habe ich es auf Herbert umgetauft. Es war wochenlang beleidigt.

 

Wenn der Besitzer eines erlegten Nährkamels laut wird, dann wählt Herbert ihn als Vorspeise aus. Ich darf mich da nicht einmischen, sonst reißt mir mein bissiges Vieh auch noch den zweiten Arm ab. Bei chinesischen Drachenkamelen sei das völlig normal, so hat es jedenfalls der Hanswurstbrater neben dem alten Dünentheater einmal gesagt. Seine „Eitrigen“ schmecken meinem Herbert am besten.

 

Einmal war ich wirklich unglücklich über seine Gefräßigkeit. „Ausgerechnet Albin Reitzfuß!“, habe ich geschimpft, aber zu spät. Aus Herberts Maul hing nur noch der linke Arm mit den Fingern, die sich bewegten, als wollten sie noch im Tode etwas andeuten. Albins Tanzpartnerin stand mit gerötetem Gesicht da und versuchte verzweifelt, dem Gegessenen nachzuspüren. Herbert ist einfach weitergegangen, ohne sie oder mich auch nur eines Blicks zu würdigen.

 

Ich fühlte mich zutiefst blamiert. Furva und Albin Reitzfuß waren eines der letzten Wackeltanzpaare weit und breit. Der Wackeltanz gehört zu meinen Lieblingsunterhaltungen neben der Lektüre eines „Lexikons der Abschaffungen“, das ich vor Jahren in den Labyrinthen einer Betonhöhle in der Nähe des Dünentheaters gefunden habe, von der es heißt, sie wäre der Überrest des Tiefspeichers einer großen Bibliothek.

 

Ich habe viele Abschaffungen erlebt. Welche davon ich am meisten genossen habe? Gut, ich bin jetzt ganz ehrlich: Keine Ahnung! Jede Abschaffung war auf ihre besondere Art herrlich. Das Dünentheater war schon fein, früher. Aber dann die Inszenierung seiner Abschaffung! Die hatte etwas erhebendes, sie wurde zu einem echten „Akt der Ermächtigung“. Den habe ich mir angeschaut. „Akt der Ermächtigung“ war nicht nur der Titel der Dünentheater-Abschaffung, es hat einfach gestimmt. Alles, von der Proklamation bis zur Brandschatzung. Hier werde ein Brandschatz gehoben, sagte einer, der den Brandauer spielte.

 

Symbolbild: Die Amygdala meines Kamels nach ihrer Flucht aus dessen Kopf.

 

Keiner wußte mehr, was ein Brandauer ist, aber man hat die Rolle geschaffen und für gültig befunden. Der Brand, der Rauch, die Worte, die Musik, der Tanz, der aufgewirbelte Staub im Licht der sinkenden Sonne. Es war wie Sprache. Flammend. Immer, auch im Versuch ihrer Verödung. Das Licht werde ich nie vergessen, und das Kamel hatte genügend Hanswürste. Seitdem bleibt es immer kurz stehen, wenn wir an einer Theater- oder Wurststand-Ruine vorbeikommen.

 

Die Wüste endet, wie alle wissen, an einem Meer, das als Retheathys bekannt ist. Eines frühen Nachmittags riechen Herbert und ich die See. Das Tier beschleunigt seinen Schritt, und noch vor Sonnenuntergang sehen wir den Strand. Was für ein Anblick! Als wir das Wasser erreichen, wendet das Kamel seinen Kopf und schaut mich zwei, drei Sekunden lang an. Es watet einige Meter in die sanften Wellen, und dann passiert etwas Außerordentliches: Herberts Schädel bricht auf, und heraus kriecht seine Amygdala in Form eines hübschen bunten Krebstiers, das über die Kamelnase krabbelt und sich ins Wasser fallen läßt.

 

Wenn du auf einem Drachenkamel mit aufgeplatztem Schädel sitzt, das bis zum Bauch im Wasser steht, stellst du dir vielleicht Fragen wie: Was passiert, wenn meine Satteltaschen naß werden? Oder: Wie kann ich wissen, daß der Krebs die Amygdala war? Oder: Ist das jetzt wirklich geschehen? Als Herbert seinen Kopf blitzschnell ins Wasser taucht, wäre ich beinahe aus dem Sattel gefallen. Aber ich kann trotzdem sehen, wie er die entwichene Amygdala mit den Zähnen packt. Im nächsten Augenblick ist sie auch schon geschluckt.

 

Aufs Trockene geht es in langsamen, schwankenden Rückwärtsschritten. Schließlich bleibt das Kamel stehen und rührt sich nicht mehr. Ich springe ab, um das Gepäck in Sicherheit zu bringen. So etwas dauert, wenn man nur einen Arm hat. Als ich’s geschafft habe, ist es dunkel geworden. Ich lege mich in den Sand und schlafe ein. Im Traum sehe ich mich im Theater sitzen. Alle Tänzerinnen sind bunte Krebse, die durcheinanderlaufen und dabei Sand aufwirbeln, der im Wasser lange, dünne Fahnen bildet. Ich kann nicht immer hinsehen, weil ich mit dem Sortieren meiner Kindheitserinnerungen beschäftigt bin.

 

Als Jugendlicher hatte ich genau so einen typischen Brandauer-Schädel, wie
er aussieht, wenn er zu temperamentvoll abgenagt wurde.

 

Was mich geweckt haben könnte, ist das Brennen des Himmelshöllenlochs und einer frischen Entzündung an der rechten Hüfte knapp über der Beckenknochenschale, die ich natürlich nicht sehen kann. Aber ich spüre, wie der Schmerz mit dem Flimmern des noch tief stehenden Lochs harmoniert. Ich sehe das Kamel immer noch unbewegt dastehen und, daß sich mein Gepäck vermehrt hat. Das löst spontan einen Kummer in mir aus, der gerade dafür ausreicht, mich auf die Beine zu bringen. Ich schaue genauer hin und erkenne: Mein Gepäck hat sich nicht vermehrt, vielmehr machen sich Abertausende schwarzer Käfer daran zu schaffen. Unmöglich, sie bei ihrer Arbeit zu unterbrechen. Als das Glutloch den Zenit erreicht, ist mein Gepäck restlos aufgezehrt.

 

Wenn dein Gepäck weggeknabbert worden ist, hast du mehr Zeit, dich an deine Kindheit und Jugend zu erinnern. Auch wenn dich ein Herbert mit glasigen Augen unverwandt anstarrt. Ohne das Kamel wäre ich nirgendwohin gekommen. Nun aber kann ich sagen: Ich habe viele Leichen gesehen. Die meisten waren Einbildung, einige jedoch, wie Albins Arm, wirkten sehr wirklich. Ich bin anderen unabhängigen Wanderern begegnet. Viele von ihnen hatten schaumige Gesichter, etliche trugen irgendwelche Einrüstungen und waren stolz auf ihre Prothesen.

 

Erst als ich erwachsen war und mir die Wüste auffiel, bemerkte ich, daß ich ein Kamel ritt. Meine Vama hatte kein Kamel, dafür konnte sie fliegen. Ich sehe sie heute noch unter dem bleiernen Himmel kreisen und suchen, suchen, suchen. Heute denke ich an sie. Man hat sich schon so lange nicht gesehen. Herbert kommt auf mich zu und bleibt sehr knapp vor mir stehen. Mit einem Ruck legt er sich nieder. Das heißt, ich muß aufsteigen. Aus dem Loch in seiner Stirn lugt ein junger graugrüner Fleder mit schwarzen Knopfaugen und einem sehr langen spitzen Maulhorn. Das ist mein Kamel als Kind, meine ich zu verstehen.

 

Es wird ein langer Ritt, den dunstigen Strand entlang. Der Mond ist fern, daher gibt es kaum noch Ebbe und Flut. Herbert macht keine Pause mehr. Das Himmelshöllenloch steht riesig über uns, aber wir spüren seine sengende Hitze nicht. Abends stürmt es oft, dann wird das Meer unruhig. Morgens ist dann alles angeschwemmt. Das Spielzeug von früher, dazwischen selten eine nicht mehr ganz frisch tote Nichtante und überall haufenweise bleich gewordene Blicke und Worte. Hätte ich noch Satteltaschen, ich würde sie sofort aufsammeln und als neue Erinnerungen mitnehmen. Eines Sonnenaufgangs entdecke ich das Skelett eines Choreophagen. Groß und grob die weißlichen Knochen, das dunkle Gebiß tief in den Sand geschlagen.

 

An die Choreophagen erinnere ich mich kaum noch, obwohl sie so oft nach mir gefischt haben. Ob im Traum oder im Wachen, weiß ich nicht mehr. Wen soll ich noch fragen? Sehr wohl weiß ich, daß ich acht oder neun Nichtanten hatte, die mich durch verschiedene Lebensmetamorphosen begleiteten. Die Art ist allerdings am Aussterben. Auch der Hanswurstbrater beim Dünentheater mußte vor sehr vielen Jahren die seine abnehmen. Er hat nie wieder eine neue gefunden. Für alle jungen Leser: Eine Nichtante setzt sich üblicherweise genau über deinem Rückgrat auf die Haut. Dabei saugt sie sich so fest, daß sie zu einem Teil von dir wird; aufgrund verschiedener Umstände kann diese Bindung leiden. Dann ist es Zeit: Die Nichtante wird vorsichtig abgelöst, mit Wurz bestreut, auf heißen Steinen gegart und sofort gegessen.

 

Vor dem Choreophagengerippe bleibt das Kamel stehen. Der kleine Fleder verläßt Herberts Schädel, setzt sich auf die Knochen und beginnt, mit seinem Maulhorn daran zu bohren. Der Hanswurstbrater hält mich für einen Hanswurst. Wäre ich nicht schon so alt und verknorpelt, hätte er mich wahrscheinlich längst, in meine eigenen Därme gefüllt, auf seinen Rost gebracht. Auch vor Herberts Zähnen hat er Respekt. Die sind allerdings wesentlich kleiner und spitzer als die Mahlwerkzeuge im Maul des Choreophagen. Seit das Kamel Albin Reitzfuß gegessen hat, hege ich den Verdacht, es könnte auch Erbgut dieses Monsters in sich tragen.

 

Dabei ist gar nicht bewiesen, daß sich Choreophagen tatsächlich von tanzenden Lebewesen ernähren. Außerdem sind sie als Meerestiere entsprechend schwer zu beobachten. Ein entfernter Bekannter des Hanswurstbraters, dessen Großvater im Nebenberuf Kryptozoologe gewesen sein soll, meinte, daß hier eine Verwechslung vorliegt: Das Tier habe früher im Volksmund eigentlich Tangfresser geheißen. Ein Tourist soll das Wort aufgeschnappt und als „Tanzfresser“ mißverstanden haben. Früher, vor meiner Zeit. Also auch vor meiner Kindheit. Da hatte ich das schönste Leben.

 

Ein hübsches Skelett, das dem einer Nichtante verblüffend ähnelt.

 

Als Idee habe ich immer wieder einmal Gräten, Knochen, manchmal auch ganze Skelette von mir selbst gefunden. Ich sage, ich war eine Idee, aber das ist natürlich nicht gesichert, sondern eine Geschichte, die mir meine Broma erzählt hat. Vielleicht, um sich bei mir interessant zu machen. Möglicherweise aber auch, um meiner Vama eins auszuwischen. Denn von da an habe ich diese immer wieder gefragt, wie ich gewesen bin, als ich noch eine Idee war. Jedesmal versuchte sie, sich vor einer Antwort zu drücken. Ich weiß bis heute nicht, warum. Ich habe so lange weitergefragt, bis in mir von selbst Erinnerungen an mein Leben als Idee auftauchten. Das sind mir bis heute die klarsten Erinnerungen. Eigenartig.

 

Der kleine Fleder kommt zurückgeflattert und setzt sich auf meine linke Schulter. Wir müssen weiter, denn ein Orkan droht aufzuziehen. Bei stürmischem Wetter sind Herbert und ich am liebsten auf dem Strand unterwegs. Ich habe einmal gehört, daß etwa hundert Werst weiter oben im Norden ein riesiges Schiffswrack aus der Vorwüstenzeit liegen soll. Dorthin wollen wir noch, und unterwegs den Anblick der brodelnden See genießen, wo noch vor wenigen Kilochronen, wie es heißt, ein Land namens Hungorn – oder so ähnlich – lag. Aus dieser Zeit soll auch das Wrack stammen. Tatsächlich nimmt der Wind an Stärke zu, und Herbert faucht vor Vergnügen. Jetzt hat er keine Satteltaschen mehr zu tragen und trabt munter durch den aufgepeitschten Sand.

 

Diesmal sehen wir uns jedoch bald gezwungen, in einer Höhle Schutz zu suchen, weil Herbert die immer heftiger werdenden Orkanböen doch zu sehr aus dem Trab bringen. Das Kamel kennt in dieser Gegend, durch die wir schon öfters gezogen sind, alle Höhlen, weil sich darin oft allerlei Leckereien verstecken und weil sie auch Schutz vor den Himmelshöllenlochstürmen bieten, die ein- oder zweimal pro Chrone brandschatzen. Wir ziehen uns tief ins Innere unserer Höhle zurück, in der ganz hinten ein Feuer brennt. In dessen Schein sehe ich, daß die Wände voll von seltsamen Bildern sind, die sehr alt sein müssen. Ein paar Unabhängige sitzen um das Feuer herum. Sie schrecken auf, als sie uns erblicken. Chinesische Drachenkamele haben verständlicherweise einen schlechten Ruf.

 

Einer aus der Gruppe fragt, ob mein Reittier hungrig ist. Ich nicke. Die Gruppe hat ein paar frischgeschlachtete Käferschweine im Vorrat. Die werden schnell herangeschleift und vor Herbert gelegt. Jetzt ist er für eine Weile beschäftigt. Ich kenne die Leute vom Sehen aus der Gegend um das Dünentheater. Ohne lange zu fackeln, setze ich mich ans Feuer und spreche über das Wrack. Davon wüßten sie nichts, sagen sie. Ich erzähle, daß die Käfer die Satteltaschen mit all meinem Zeug gefressen haben und auch meine Erinnerungen an früher.

 

Darüber amüsiert sich die Gruppe so prächtig, daß ich noch die Amygdalageschichte nachlege und den Witz, daß in Herberts Kopf stattdessen jetzt ein Fleder nistet. Allgemeines Gelächter. Einer packt eine Flasche aus. Der Inhalt brennt wie Feuer in der Kehle, aber er lockert die Stimmung. Vom Orkan draußen ist hier nicht viel zu spüren. Hin und wieder ein scharfer Luftzug. Eine Zeit lang fernes Donnergrollen. Und ein fernes, grelles Kreischen, das von einem Tier kommen könnte oder von Metall, das verformt wird.

 

Wir unterhalten uns bestens. Das Kamel ist satt und legt sich hin. Ich deute auf die Bilder an den Höhlenwänden. Einer von den Unabhängigen ist da Experte. Die seien von früher. Also, von noch oder ganz früher. Man sieht ganz viele kleine Figuren. Die meisten von ihnen liegen in Haufen da, andere laufen vor etwas davon, das brennt. Der Experte erzählt, was er weiß.

 

Es muß eine seltsame Zeit gewesen sein, damals, als es Hungorn noch gab. „Sie waren viele“, sagt der Experte und behauptet, die hätten das Dünentheater gebaut und alles, was heute als Ruinen überall in der Wüste zu finden ist. Nach einer Weile denke ich an meine Broma und ihre Bilder. An meine Kindheit. Die Vergangenheit verblaßt. Ich bin ein wenig überrascht davon, wie wenig mir das bedeutet.

 

(25.5.2021)