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Antworten 22–28

WAS IST CHOREOGRAPHIE #4

 

Peter Panayi

Choreographie ist, sich im Raum aufzuhalten und sich dessen ein bisschen bewusst zu sein. Die Zeit tut das Ihre.

 

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Eva Meyer-Keller

Was ist Choreographie?
Bewegung im Raum
Bewegung aller möglichen Dinge
Aller Dinge, die im Raum sind, größere Dinge wie Tisch und Stühle, kleinere Dinge wie Papier und Vitamintabletten.
Bewegung im Körper von Armen, Beinen, Kopf und Organen.
Choreographie ist das Inszenieren aller dieser Bewegungsabläufe im Raum.
Es ist zum Zuschauen gemacht.
Was mit den Gedanken beim Zuschauen passiert, ist Teil der Erfahrung.
Ein Bewegungsablauf wird durch bestimmte Parameter festgelegt.
Parameter können zum Beispiel Abmachungen und Regeln sein.
Bei Choreographie, die sich weiterentwickelt, gibt es kaum Werkzeug, auf dem man sich ausruhen kann, aber genau das ist das Interessante dabei.
Zeit spielt eine beträchtliche Rolle.
Meistens gibt es einen Anfang und ein Ende.
Die Grenzen können verschwimmen;
von Alltäglichem und Virtuosem, von auf der Bühne und nicht auf der Bühne, vom Arbeitsprozess und der Präsentation, von Anfang und Ende.
Choreographie ist wie eine Reise, auf die man sich begibt.
An einen Ort, den man nicht kennt, wo man nicht genau weiß, wo er liegt. Dass man sich verläuft oder verfährt, ist so gut wie sicher. Vielleicht kommt man nie da an, wo man vorhatte, hinzukommen. Vielleicht findet man auf dem Weg Interessantes.

 

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Sabina Holzer

Auch wie und wodurch entsteht Choreografie? (Als Praxis, oder bei der BetrachterIn.) Durchdringen von Materialien. Materialien können sein: Körper, Empfindung, Sprache, Text, Konzept, Gedanke, Ton, Bild/Film, Situation. Durchdringen heisst, Schwingung, Dynamik, Spannungsverhältnisse zu erkunden. Diese sich ausbreiten, sich verteilen lassen in Raum und Zeit. Sie zu übersetzen in Rhythmen und Intensitäten. Diese kollidieren oder sich überlappen lassen. Zwischenräume entstehen, Überschreitungen, Neubesetzungen. Jedes Material, jedes Medium hat das Potential zu tanzen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich verstreuende Sinnesreize und Daten zu ordnen oder sich ordnen zu lassen. Ich wünsche mir von Choreografie etwas Anderes als eine intellektuelle Synthese des Erkennens und Darbietens. Sie geht darüber hinaus. Und wenn sie das tut, verbindet sie sich mit der Welt.

 

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Claudia Jeschke

Choreographie als Operationalisierung von KörperBewegungen
in der Tanz/Theaterforschung.

Der Begriff der ,Choreographie‘ geht auf ‚choros‘ = Reigenplatz, Tanzplatz, Tanzschar und ‚graphein‘ = schreiben zurück. In Frankreich wird der Begriff erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts verwendet (Arbeau, Thoinot. Orchésographie. Langres, 1588) und bezeichnet die Notierung von Tanzschritten und -figuren mittels konventionalisierter Wortkürzel. Im Laufe des 18. Jahrhunderts ändert sich die Bedeutung des Begriffs; er steht jetzt für die Erfindung und Komposition von Schritten und Figuren (ihre Notation ist weiterhin möglich, aber nicht unabdingbar); vgl. z.B. Grand Larousse de la langue francaise. Tom.I. Paris, 1971; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Bd.I. Berlin, 1989.

Es wäre m. E. eine notwendige und lohnenswerte Unternehmung der Tanzforschung, die strukturelle Beziehung zwischen ‚Schreiben‘ und ‚Erfinden‘ von KörperBewegungen im Raum, wie sie sich in der Begriffsgeschichte des Wortes ‚Choreographie‘ manifestiert, genauer zu untersuchen: Eine solche Analyse würde dem veräußerlichten Sprachgebrauch entgegenwirken, der Choreographie vor allem topographisch versteht - als ,die Technik des Verteilens und Ordnens von Einzelpersonen im Raum‘ (vgl. z.B. Hravtin, Emil: „Die Topographie des Balletts“. Wesemann, Arnd (ed): Jan Fabre. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1994, 95-104, hier: 95) -, ein Sprachgebrauch, der sich wohl deshalb entwickelt hat, weil Bewegungsdokumentationen und/oder -erfindungen u.a. als räumliche Muster sichtbar werden. Nicht genügend beachtet wird bei diesem Choreographie-Verständnis die Strategie des Sich-Bewegens (und ihre dynamische Beziehung zum Schreiben, als Dokumentation oder Diskurs), die immer notwendig war, um topographisch wahrnehmbare Ergebnisse zu produzieren.

…Was hieße…:

Choreographie fungiert sowohl als non-verbales Vergleichs-, ja Kontrastmodell für andere theatrale Konstruktionsweisen wie etwa jene der Dramaturgie, als sie auch über jeweils genauer zu bestimmende Verbindungen mit anderen historischen wie diskursiven Strategien (etwa: Performanz, Geschlechterrolle, Gestaltung von motorischer Identität) zu definieren ist. Ihre systematische Erörterung nun scheint mir ein wesentliches, weil das Medium Bewegung reflektierendes, Desiderat einer kinetisch orientierten Tanz/Theaterforschung zu sein.

Mit vier Beispielen aus der Tanzgeschichte (Tanz im 18. und 19. Jahrhundert, zu Beginn und zu Ende des 20. Jahrhunderts) will ich mögliche historische wie strukturelle Markierungen zu Begriff und Verwendung von Choreographie kurz skizzieren. Anders als die üblichen Verständnisweisen von Choreographie, die auf ihren formal ordnenden Charakter oder ihren Gebrauch als eine auf Tanz generell verweisende Metapher eingehen, lesen die vier Skizzen Choreographie als komplexes, trennscharfes Medium - als Operation, Verfahren, das sich erkenntniseffektiv und methodisch stringent über den jeweils unterschiedlichen, konzeptualen wie materialisierten - Umgang mit Bewegung im Referenzsystem von Wissen, Schreiben und Erfinden bestimmen lässt.

Das im Barock praktizierte choreographische Verfahren ist definiert durch die Bedeutung der Komposition bzw. Re-Komposition von versatzstückhaft gebrauchten Schritten und Gesten - als normative Entsprechung von einerseits Erinnern und andererseits Schreiben und Ausführen. KörperBewegungen im Raum organisieren sich so lange einer (hier: der absolutistischen) Tabulatur entsprechend, bis sich Körper und Bewegung ihrer Eigenkapazität gewahr werden.

Das 19. Jahrhundert exemplifiziert u.a. ein choreographisches Procedere, in dem Verschriftung und Ausführung weniger expliziten Bezug zum Erinnern erkennen lassen als zum idealisierten Transformieren ganzkörperlicher Bewegung. Die sich daraus ergebende Balance, Harmonie als raumbewußte Verkörperung, ist gleichzeitig körperliche und choreographische Technik, die das Potential zur Dynamisierung der prekären Stabilität, zur produktiven Destabilisierung, impliziert.

Diese Tendenz konkretisiert sich z.B. dann, wenn sich das Transformieren existenten Materials - wie etwa seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts - zum Erfinden neuer Bewegungen individualisiert und so neue Weisen der Verschriftung notwendig macht.

Zu registrieren ist, dass in allen hier angerissenen Modellen und Phasen der Geschichte das Verständnis von Choreographie das Referenzsystem Wissen, Schreiben und Erfinden von KörperBewegung innerhalb kultureller Kontexte synthetisiert. Aktuell nun vollzieht sich die Dekonstruktion dieser bislang gültigen synthetischen Struktur, indem sie sie als kombinatorisches Spiel organisiert, also die einzelnen Faktoren isoliert und aus der traditionellen Verbindlichkeit des Referenzsystems löst. Unter dieser in der zeitgenössischen Theaterpraxis und wohl gemeinhin als poststrukturalistisch bezeichneten Sichtweise ist der Begriff der Choreographie in der Diskursivierung der Bewegung implizit vorhanden, wenn man diese selbst als radikalisiertes choreographisches Verfahren liest. Die Diskursivierung von Bewegung spiegelt demnach sowohl eine mögliche Taktik aktueller Choreographie, als sie auch retrospektiv wie aktuell über theoretisches Erkenntnispotential verfügt, das im Hinblick auf die Diskussion nicht nur der Choreographie, vielmehr aller mit non-verbalen Darstellungmitteln befassten theatralen Strategien relevant ist.

 

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Adrian Heathfield

Choreographie ist sowohl die durchdachte Struktur als auch das sichtbare Muster sich bewegender Körper in Raum und Zeit. Choreographie ist nicht auf das beschränkt, was sichtbar gemacht wird. Choreographie ist die Autorität der Phänomene, sie scheint die Gesamtheit des Bewegungsausdrucks zu beinhalten. Choreographie ist das Spurenlegen von Empfindungen in der Zeit. Choreographie ist das, was das Belebte mit dem Unbelebten verbindet, die Luft mit dem Boden, das Lebende mit dem Toten. Choreographie ist der unmögliche Versuch, das Paradox der Stille innerhalb der Bewegung aufzuheben. Choreographie ist eine Transaktion des Fleisches, die Öffnung eines Körpers anderen gegenüber, ein Erzittern von Grenzen. Choreographie ist der Erotik verschrieben: sie testet, verführt und bietet an, ohne jemals etwas zu sagen. Choreographie ist ein körperlicher Übergang, in dem der Körper sowohl eine Frage als auch eine unzugängliche Antwort ist. Choreographie ist die unentzifferbare Sprache zur Interpretation präsentierter Körper. In der Choreographie kommt das Negative zum Vorschein: das Ungesehene schimmert, das Ungehörte wispert, das Ungefühlte wird liebkost, und wir intuieren das Ungewusste. Choreographie ist ein Ort der Transformation, wo das Instrumentale sublim wird. Choreographie ist ein fließendes Experiment: eine Begegnung zwischen dem Gewohnheitsmäßigen und dem Unerwarteten. Choreographie kann nicht der Improvisation entgegen gestellt werden, so wie man im Theater das Schreiben nicht dem Ereignis entgegen setzen kann. Choreographie besteht innerhalb der Zeitlichkeit offener Wiederholungen: sie ist immer jetzt, auch wenn sie zuvor schon getan wurde.

 

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Michikazu Matsune & David Subal

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Michikazu Matsune
Gesendet: Dienstag, 11. September 2007 19:41
An: David Subal
Betreff: Was ist Choreografie 

Lieber David,
ich hoffe, es geht dir gut, wo immer du gerade bist.
Es ist schon eine Weile her, seit wir einander das letzte Mal gesehen haben. Und wie immer, wenn wir uns treffen, haben wir so viel zu tun, dass wir nicht wirklich Zeit haben, mit einander zu reden. Ich schreibe dir aus keinem besonderen Grund:
Ich will dir nur sagen, dass es nett wäre, wenn wir das nächste Mal, wenn du und ich zusammenkommen, irgendwo tanzen könnten. Es wäre auch schön, wenn wir im Herbst den Wochenendausflug in die ländlichen Gegenden Österreichs verwirklichen könnten, über den wir gesprochen haben. Oleg freut sich sehr darauf, uns zu begleiten. Das wird ein sehr schönes Wiedersehen von uns dreien.
Michikazu
p.s. Anbei ein Bild von Jennifer. Wir machen morgens meist einen Spaziergang zum Strand.

jeniffer

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: David Subal
Gesendet: Freitag, 14. September 2007 18:03
An: Michikazu Matsune
Betreff: Re: Was ist Choreografie 

Hey Michi,
gut, von dir zu hören. Wirklich. Vor allem, da kein besonderer Grund.
Hoffe, dir geht's gut und deinen Lieblichen auch.
Ach ja, Scheiße mit dem Schlüssel. Tut mir wirklich Leid.
Alles war ein bisschen zu eng.
Ja, Olegs Wochenende sollte stattfinden. Auf jeden Fall.
Derzeit keine Bilder zum Verschicken.
Alles Gute,
David

 

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Sigrid Gareis

Auf dem Hintergrund der unterschiedlichsten Definitionen von Choreografie halte ich es bewusst ganz simpel und eher „klassisch“: Choreografie bedeutet für mich eine reflektierte Ordnung von Bewegung in Raum und Zeit.

Doch - und das ist es, was unsere Disziplin so spannend macht - steht in dieser Formel Bewegung als ein pulsierender Platzhalter für vieles: Denken, Energie, Gestik, Rhythmus - um nur einige Beispiele zu nennen. Damit erweitert sich der Möglichkeitsraum bewusst und konsequent in ein Unendliches. Und das wiederum ist für die Zukunft unserer Sparte gut so…

 

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